Paris ist besetzt. In Lyon beginnen erste Säuberungen, die bald auch Marseille drohen. Georg erreicht die noch freie Hafenstadt illegal und mit einem Pass in der Tasche, der einem andern gehört. Durch eine Verwechslung auf dem mexikanischen Konsulat wurde er zu diesem andern, dem bekannten deutschen Schriftsteller Weidel – plötzlich hat er alle nötigen Papiere für die Passage nach Mexiko. Das Schiff freilich fährt erst in einigen Wochen.
Anna Seghers’ Werk in die Gegenwart übertragen
Christian Petzold adaptiert in seinem neuen Film «Transit» den gleichnamigen Roman von Anna Seghers, den die Autorin 1942 im mexikanischen Exil schrieb. Die auf ihren Erinnerungen basierende Flüchtlingsgeschichte überträgt Petzold in die Gegenwart. Um Georg pulsiert das hektische Leben des aktuellen Marseille. Im Hafen liegen topmoderne Fähren und Kreuzfahrtschiffe. Doch auf Weidels Pass steht «Deutsches Reich». Und die vorrückenden Besatzer sind Faschisten auf der Jagd nach Juden und Systemkritikern.
Diese zeitlichen Verwerfungen irritieren nur zu Beginn. Im Verlauf der Handlung geraten Georg (Franz Rogowski) und die weiteren Akteure in eine historische Luftblase – zumal die erzählte Geschichte über 70 Jahre alt ist, aber nichts an Aktualität und Brisanz verloren hat. Georg lernt verschiedene Personen kennen, die wie er im Schwebezustand des Wartens, Bangens und Hoffens feststecken. Darunter die gehörlose Melissa und ihren Sohn Driss, die eines Morgens verschwunden sind, der Stardirigent mit Einladung nach Caracas oder die seltsame Dame mit Hunden (Barbara Auer), die alle ihre Schicksale mit Georg zu teilen versuchen, damit aber scheitern. Schliesslich Marie (Paula Beer), die auf der Suche ist nach ihrem Mann, den sie verlassen hat und nun wiederfinden muss, weil er ihr Reisevisum hat. Es ist jener Autor Weidel, dessen Papiere Georg auf sich trägt. Sein Versuch aber, an dessen Stelle mit Marie die Reise anzutreten, wird schwierig. Denn Marie leidet an einer Nebenwirkung des «Transit-Virus» – dem Realitätsverlust.
Der leidvolle Topos aller Flüchtenden
Christian Petzold (58) gelingt es auf packende Weise, die zuweilen fast unerträgliche Spannung dieser Konstellationen aufzuzeigen – mit Bildern, Szenerien, Gesten. Dem gefeierten deutschen Regisseur («Die innere Sicherheit», «Barbara») geht es darum, jenen existenziellen Gemütszustand darzustellen, den Flüchtende erleben. Und der sich in der Geschichte als leidvoller Topos nur wenig verändert hat. Deshalb sind Seghers’ Texte bis heute gültig, wenn Petzold sie als Off-Kommentare einblendet. Und auch ihre Figuren, deren biografische Konturen der Regisseur verwischt. Authentisch bleiben sie allemal: Paula Beer und Franz Rogowski brillieren mit eindringlichem Spiel. Die beiden zählen zu den aufstrebenden Charakterdarstellern des europäischen Films. Beer wurde in François Ozons Kriegsdrama «Frantz» (2016) in Venedig ausgezeichnet. Rogowski hat gerade die deutsche «Lola» gewonnen und ist in Thomas Stubers Sozialdrama «In den Gängen» zu sehen. 2017 machte er in vier Spielfilmen auf sein Können aufmerksam, darunter Michael Hanekes «Happy End».
Transit
Regie: Christian Petzold
Ab Do, 31.5., im Kino