Vater Winfried kommt wieder mal zu spät, direkt von einer Schüleraufführung – mit verschmiertem Clowngesicht. Musiklehrer Winfried Conradi ist eine kauzige Erscheinung, ein melancholisch gewordener Alter und Alt-68er mit einem Hang zum Schabernack. Tochter Ines ist zu Besuch gekommen, um ihren Geburtstag vorzufeiern, denn sie muss wieder weg, dringende Geschäfte warten in Bukarest. Ines lebt in Rumänien, wo sie als Unternehmensberaterin tätig ist.
Als Winfrieds geliebter Hund stirbt, reist er nach Bukarest, um die Übergabe des Geburtstagsgeschenks – eine Käsereibe – nachzuholen. Tochter Ines bewegt sich in einer gänzlich anderen Welt. Sie lebt ein angespanntes, von Business-Gedanken bestimmtes Leben.
Mal Coach, mal Yeti
Natürlich ist das Auftreten ihres Vaters in der feinen Geschäftswelt für die Tochter mit Peinlichkeiten verbunden. Sie schämt sich für Winfried. Schon atmet sie auf, dass der Vater heimreist – als sich später im Restaurant eine Gestalt bemerkbar macht: Winfried hat seinen Auftritt mit gruseligem Gummi-Gebiss und Langhaarperücke verkleidet. Unter dem Pseudonym Toni Erdmann treibt Winfried weiterhin seine harmlosen Scherze. Einmal stellt er sich als «Coach» eines wichtigen Akteurs in einem Öl-Deal vor, dann wiederum behauptet er mehrsprachig: «I’m ambassadeur Erdmann.»
Wie es sich um das Verhältnis von Tochter zu Vater verhält, zeigt der Dialog, in dem er ihr an den Kopf wirft: «Bist überhaupt ein Mensch?» Sie gibt zurück: «Hast du in deinem Leben noch was vor, ausser den Leuten ein Furzkissen unterzuschieben?»
Buchstäblich entblösst wird die Business-Welt bei Ines zu Hause an der Geburtstagsparty, die durch ein Missverständnis zur Nacktparty umfunktioniert wird. Winfried kommt in einem folkloristischen zotteligen Maskenkostüm als eine Art stummer Yeti.
Sanfter (Aber-)Witz
Am Ende scheint zwischen Ines und Winfried so etwas wie versöhnliche Annäherung möglich. Ines steckt sich Vaters Scherz-Gebiss in den Mund …
«Toni Erdmann» ist die Geschichte von der schwierigen Beziehung eines Vaters mit seiner Tochter. In diese private Geschichte eingebaut ist ein gehöriges Mass Gesellschaftskritik – an einem System, das der Menschlichkeit kaum Platz bietet, wo der Gedanke an den Profit zuoberst steht. Es ist eine gelungene Komödie, die zur bitterbösen Satire neigt. Ein Film, der fast drei Stunden dauert, die wie im Flug vergehen.
Der Wiener Burgschauspieler Peter Simonischek (70) ist Winfried/Toni. Ein darstellerisches Ereignis in seiner Verhaltenheit mit bitterem, leicht verzweifeltem, aber sanftem (Aber-)Witz. Seine Filmtochter Ines spielt Sandra Hüller, aktuell Mitglied im Ensemble des Theaters Neumarkt in Zürich. Die 38-Jährige gibt die strenge Karrieristin intensiv, voller Anspannung. In Cannes reichte es für diesen erfreulichen deutschen Ausnahmefilm «nur» für den internationalen Kritikerpreis.
Toni Erdmann
Regie: Maren Ade
Ab Do, 21.7., im Kino