Film «The Wolfpack»: Tarantino als Lebensretter
Unglaublich, aber wahr: Mitten in Manhattan sind Kinder über viele Jahre eingesperrt. In der Sozialwohnung drehen sie ihre Lieblingsfilme nach.
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Kulturtipp 21/2015
Letzte Aktualisierung:
13.10.2015
Urs Hangartner
Vater, Mutter, eine geistig zurückgebliebene Tochter und sechs Söhne bilden die Familie Angulo. Vater Oscar ist Anhänger östlicher Religionen, fühlt sich selber gottgleich und erleuchtet. Er weigert sich, zu arbeiten. Mutter Susanne unterrichtet ihre Kinder zu Hause und erhält dafür Geld vom Sozialamt. Davon lebt die Familie in einer Vierzimmer-Sozialwohnung in Manhattan, oben im 16. Stock. Ihre vier Wände haben die Kinder praktisch noch nie verlassen. ...
Vater, Mutter, eine geistig zurückgebliebene Tochter und sechs Söhne bilden die Familie Angulo. Vater Oscar ist Anhänger östlicher Religionen, fühlt sich selber gottgleich und erleuchtet. Er weigert sich, zu arbeiten. Mutter Susanne unterrichtet ihre Kinder zu Hause und erhält dafür Geld vom Sozialamt. Davon lebt die Familie in einer Vierzimmer-Sozialwohnung in Manhattan, oben im 16. Stock. Ihre vier Wände haben die Kinder praktisch noch nie verlassen. Patriarch Oscar lässt sie nicht raus, um sie vor den angeblich schlechten Einflüssen der Aussenwelt zu schützen.
Die Angulo-Kinder tragen exotische Sanskrit-Namen wie Bahavan, Govinda, Jagadisa oder Mukunda. In ihrer Isolation haben sie sich eine eigene Parallelwelt geschaffen. Sie schauen wie besessen Filme. Und vor allem: Die Brüder drehen ihre Lieblingswerke wie Tarantinos «Reservoir Dogs» oder «Batman» in der Wohnung nach. Mit minimalsten Mitteln basteln sie Requisiten und Dekors. Aus Yoga-Matten, Cornflakes-Schachteln und Farbe ist so etwa ein Batman-Kostüm entstanden. Das ist komisch. Vor allem aber: tragisch.
Eigene Welt
Die Filme haben sie quasi gerettet. Einer der Brüder sagt: «Wir hatten keine Welt. Die Filme halfen uns, unsere eigene Welt zu erschaffen.» Und das im 21. Jahrhundert, an New Yorks Lower East Side. Bis einer von ihnen eines Tages flieht. Der Fall Angulo wird aktenkundig, allerdings ohne Konsequenzen. Als «Wolfpack» (Wolfsrudel) erkunden die Brüder fortan die Welt, entdecken Gras, Wasser, Bäume, oder sie besuchen den Freizeitpark Coney Island.
Die New Yorker Regisseurin Crystal Moselle ist dem «Wolfsrudel» zufällig in Manhattan begegnet, bei einem der ersten Ausflüge in der «Freiheit». Sie konnte das Vertrauen der Geschwister gewinnen und fand so Zugang zu ihrem Leben, das sie über fünf Jahre mit der Kamera begleitete. Ihre Dokumentation über die freakige Familie gewann beim Sundance Filmfestival den Grossen Jurypreis.
The Wolfpack
Regie: Crystal Moselle
Ab Do, 8.10., im Kino