Milo (Eric Ruffin) ist ein afroamerikanischer Teenager. In der Schule wird er gehänselt und drangsaliert. Die ihm freundlich gesinnte Homeboy-Gang des Viertels begrüsst ihn leicht spöttisch mit «Hey, Freak!». Milo ist Waise. Mit seinem grossen Bruder Lewis (Aaron Clifton Moten), einem Kriegsveteranen, lebt er in einer Sozialwohnung auf der Halbinsel Rockaway im New Yorker Stadtteil Queens. Keine gute Gegend.
Milo ist Vampir-Film-Fan. Davon zeugen die zahlreichen Videokassetten in seinem Zimmer und die vielen Zeichnungen an der Wand. Der verschlossene Einzelgänger sieht sich im Internet gerne brutale Schlachthof- und Naturfilme mit reissenden Raubtieren an. Eines Tages trifft er die etwas ältere Weisse Sophie (Chloe Levine) – Waise auch sie. Die beiden Teenager entwickeln Sympathien und zarte Liebesgefühle füreinander.
Independent-Erstling an Schauplätzen der Jugend
Milo lädt Sophie in eine Mittagsvorstellung des deutschen Stummfilmklassikers «Nosferatu» ein. Das sei ein richtig guter Vampir-Film. Sophie dagegen findet «Twilight» besser. Dieser sei aber, so Milo, «ziemlich unrealistisch». Er muss es wissen: Milo ist selbst Vampir, wie schon die Anfangsszene verrät. Die Geräusche, die man in einer öffentlichen Toilette vernimmt, lassen zwar glauben, dass Milo einen Sex-Kunden befriedigt hat. Aber er hat vielmehr einem Herrn Blut ausgesaugt.
Milos Neigung bleibt unentdeckt. Verdächtig ist höchstens, als er Sophie erklärt, dass die Geschichten vom Tageslicht und Knoblauch eindeutig ins Reich der Vampir-Mythen gehören. Sophie fragt, ob Vampire unsterblich seien. Milos Antwort: «Vielleicht, ich weiss es noch nicht.»
Wie es mit Milos Unsterblichkeit steht, enthüllt der Film in seiner dramatischen Schlussszene. Im Abspann singt Will Oldham die traurigen Zeilen seines Songs «You Will Miss Me When I Burn» über die Trostlosigkeit der Einsamkeit: «When you have no one, no one can hurt you.» – Wenn du niemanden hast, kann dir auch niemand wehtun.
Regisseur und Drehbuchautor Michael O’Shea ist am Ort seiner Filmschauplätze aufgewachsen. «Dort hatte ich meine Wurzeln. In visueller und sozioökonomischer Hinsicht kannte ich mich in Rockaway und New York City gut aus.» Bei seinem ersten Langspielfilm orientierte er sich an der Erkenntnis, «dass unsere Gesellschaft und unsere Kultur rund um die Leugnung des Todes herum aufgebaut sind». Er überlegte sich, «dass Vampir-Mythen dazu da sein könnten, uns zu lehren, dass der Tod etwas Natürliches ist und wie diese Lehre in der modernen Welt verloren gegangen ist». In der heutigen Gesellschaft macht O’Shea «raubtierhafte Verhältnisse» aus. Seine jugendliche Vampir-Figur Milo interpretiert der Regisseur als jemanden, «der auf der niedrigsten Stufe der ökonomischen Nahrungskette steht und versuchen könnte, sich an ihre Spitze zu stellen». Die Verhältnisse lassen es nicht zu.
The Transfiguration
Regie: Michael O’Shea
Ab Do, 13.7., im Kino