Brady Blackburn hat eine Metallplatte im Schädel, darüber eine üble Narbe. In einer Anfangsszene zieht er sich vor dem Spiegel die Wundklammern aus dem Kopf. Das sind die Folgen seines Reitunfalls bei einem Rodeo. Brady schaut sich das tragische Ereignis als Video auf seinem Handy an. Seine Freunde scherzen: «Er sieht aus wie Frankenstein.»
Der junge Brady aus South Dakota ist Cowboy mit Haut und Haaren. Reiten ist alles, was sein bisheriges Leben ausmachte. Das soll jetzt nicht mehr gelten. Er erholt sich zwar langsam vom Unfall, doch das Verdikt der Ärztin ist eindeutig: «Sie können sich keine zweite Kopfverletzung leisten. Kein Reiten mehr, keine Rodeos mehr.» Aber Brady kann es nicht lassen, stur, wie er ist. Er will wieder reiten. Ein letztes Mal auf seinem Lieblingspferd Gus, das der Vater aus Geldnot verkaufen musste. Und dann auf Apollo, einem Mustang, den er gezähmt und zugeritten hat. Doch es kommen immer wieder Krämpfe und Übelkeit. Ein Anfall macht eine neuerliche Spitaleinweisung nötig.
Echte Cowboys, die ihr Handwerk kennen
Brady hat nicht nur den Ruf, ein ausgezeichneter Rodeoreiter zu sein. Er ist auch ein erfolgreicher Pferdeflüsterer, ein Tiertrainer mit Zauberhand, der das noch so wilde und bockige Pferd besänftigen kann. Jetzt arbeitet er als Aushilfe im Supermarkt, wo ihn ein junger Fan erkennt. Er bittet um eine Selfie und sagt: «Ich hoffe, du reitest bald wieder.»
Tragisch, dass Brady so jung ein schweres Schicksal erleidet und nie mehr das tun kann, was er am liebsten tut und am besten kann. Noch tragischer ist der Fall seines guten Freundes Lane Scott. Er sitzt im Rollstuhl, schwerstbehindert, sprechen kann er nicht mehr. Lane war die absolute Nummer eins in der Rodeoszene. In einer rührenden Szene sieht man Brady bei einer Art Bewegungstherapie im Spital, wo er Lane auf einem Sattel das Reiten simulieren lässt. Viel Hoffnung auf Heilung besteht nicht. Auf der Heimfahrt im Auto vergiesst Brady bittere Tränen.
Die Schauspieler haben ihr Handwerk und den Umgang mit den Pferden überzeugend hinbekommen. Aus einem einfachen Grund: Sie sind allesamt Laien, die sich selber spielen und ihre echten Vornamen tragen. Die Geschichten sind zu einem schönen Teil ihre eigenen.
Erzählerische Freiheit hat sich die in China geborene Regisseurin Chloé Zhao bei der Rolle von Lane Scott genommen. Er war zwar im richtigen Leben Rodeoprofi; seine Behinderung ist allerdings die Folge eines Autounfalls. Aber das Pferdeflüstern und die Reitkünste von Brady – das ist alles echt und nicht gespielt. So wird aus «The Rider» ein moderner ethnografisch treuer Neo-Western mit dokumentarisch-authentischem Wert. Als Spielfilm erzählt er eine Geschichte von unbedingtem Willen, von Lebensmut, von zerstörten Träumen. Das ist nicht einfach rau und «wild» inszeniert, sondern mit viel Feinsinn. Ein geradezu meisterliches Werk.
The Rider
Regie: Chloé Zhao
Ab Do, 5.7., im Kino