«The Assassin» beginnt mit einem Prolog in Schwarz-Weiss, einer Rückblende in die Vergangenheit der Hauptfigur Nie Yinniang (Shu Qi). Die Szene zeigt eine Attacke auf einen Berittenen. Yinniang tötet schnell und konzentriert mit ihrem Dolch. Aber sein Begleiter bleibt verschont – die Killerin kennt Mitgefühl. Ihre Lehrmeisterin, die Nonne Jiaxin, in deren Obhut die Eltern sie mit zehn Jahren gaben, kritisiert: «Du beherrschst das Schwert, aber dir fehlt die Überzeugung.»
Die Zeit von «The Assassin»: Tang-Dynastie, neuntes Jahrhundert. In China herrscht der Kaiser, in den Provinzen walten mehr oder weniger ergebene Regenten. Wer vom zentralen Hof der Korruption angeklagt wird, hat mit Strafaktionen zu rechnen.
Auftrag Mord
Die spezialisierte Killerin Nie Yinniang führt diese mörderischen Aufträge aus. Dabei muss sie sämtliche Gefühle ausschalten, was ihr nicht immer gelingt. Dann tadelt ihre Ausbilderin, die Nonne: «Dein Geist ist Gefangener deines Gefühls.»
Schliesslich erhält Yinniang den Auftrag, in der Provinz Weibo ihren Cousin zu liquidieren. Sollte auch diesmal ihr Herz der Pflicht entgegenstehen? Immerhin stammt Yinniang selber aus Weibo; sie und Cousin Tian Ji’an, heutiger Provinz-Gouverneur, waren einst füreinander bestimmt.
Ji’an lebt mit Hofstaat, Familie und Konkubinen im schönen, vornehm ausgestatteten Palast. Die Menschen am Hofe tragen prachtvolle Gewänder. Hausmusiker spielen authentisch anmutende, traditionelle Klänge, die allerdings neu komponiert sind (Musik: Lim Gion). Yinniang lässt im Fall ihres Cousins Gnade walten, mit guten Gründen: «Ich habe ihn nicht getötet, weil die Kinder noch klein sind und Weibo im Chaos versinken würde.»
Auch wenn tödliche Kampfkunst eine wichtige Rolle spielt – «The Assassin» ist kein typischer Martial-Arts-Film, weit entfernt von herkömmlichen Kung-Fu-Streifen. Dafür ist er viel zu ruhig und zu langsam; Tempo, Hektik und schnelle Schnitte fehlen. Die Kamera bewegt sich kaum, dafür packen die berückend schönen Naturlandschaften sowie die Ausstattung. Tableauartig reihen sich die einzelnen Sequenzen aneinander, gemalten Bildern gleich.
Strom der Bilder
Regisseur Hou Hsiao-hsien wähnte sich in einem klassischen chinesischen Gemälde, als er an den Drehorten Innere Mongolei, im Nordosten Chinas und in der Provinz Hubei die Birkenwälder und Seen sah. Zu seinem aktuellen Werk sagt er: «Was mich am meisten inspiriert hat, sind die japanischen Samurai-Filme.» Interpretationen und Wertungen für sein Publikum will Hsiao-hsien nicht präsentieren; es soll bei seinem Film einfach in den Strom der Bilder und der Geschichte eintauchen. Seine eigene filmische Methode sei «kommen lassen, was passiert». Hou Hsiao-hsien erhielt für «The Assassin» letztes Jahr in Cannes den Regie-Preis.
The Assassin (Nie Yinniang)
Regie: Hou Hsiao-hsien
Ab Do, 9.6., im Kino