Wenn zwei charmante und exaltierte Flunkerer aufeinandertreffen, entbrennt die Leidenschaft. So ergeht es jedenfalls Georges (Romain Duris) und Camille (Virginie Efira), die 1958 eine schicke Champagnerparty an der französischen Riviera aufmischen. Während Georges seinem Publikum abenteuerlichen Lügen-geschichte über sich selbst erzählt, tanzt Camille, die sich auch Antoinette nennt, selbstvergessen zwischen den Gästen. Georges ist hin und weg, die beiden nähern sich tanzend einander an, landen im Meer und fliehen tropfnass und unter unbändigem Gelächter im Cabriolet von der Party – und lieben sich nach dem unvermeidlichen Autocrash auf dem Altar einer Kapelle am Wegesrand. Romantik und Leidenschaft pur! Was wie eine kitschig überhöhte Liebesgeschichte beginnt, bekommt allerdings bald erste Risse. Denn die beiden Fantasten sind zwar wie füreinander gemacht, und Söhnchen Gary (Solan Machado-Graner) setzt ihrer Liebe noch die Krone auf, wie der Zeitsprung ins Paris von 1967 zeigt. Die kleine Familie feiert wilde Tanzparties, hält als Haustier einen Vogel namens «Mademoiselle Redundanz» und foutiert sich um alle Konventionen, stets unterstützt von ihrem treuen Freund, genannt «Mistkerl» (Grégory Gadebois).
Trügerische Flucht in die Fantasie
Aber nach und nach zeigt sich unter Camilles schillernder Fassade eine tiefe Traurigkeit. Sie hört ihren melancholischen Lieblingssong, Nina Simones titelgebender «Mr. Bojangles», in Endlosschlaufe, und ihre Exaltiertheit kippt immer häufiger in den Wahn. Lange kann Georges ihre Eskapaden abfangen, aber als sie fast die Wohnung abfackelt, wird sie in die Psychiatrie eingewiesen – in den 60ern ein Ort des Grauens. Regisseur Régis Roinsard widmet sich, basierend auf dem Romanbestseller von Olivier Bourdeaut, Camilles manisch-depressiven Zuständen auf ungewohnte Weise. In der anfänglichen Leichtigkeit erinnert sein Film «En attendant Bojangles» zuweilen an die fantastisch-märchenhafte Welt von Amélie aus dem gleichnamigen Kultfilm von 2001. Doch die Flucht in die Fantasie erweist sich in Régis Roinsards Film als trügerisch. «Wenn die Realität banal und traurig ist, erfinden Sie eine schöne Geschichte», sagt Camille einmal. Der Gerichtsvollzieher, der dem Paar die baldige Zwangsräumung der Wohnung verkündet, weiss aber auch: «Man kann der Realität nicht entkommen.» Und so wird die glitzernde Welt der beiden Luftschloss-Experten und ihres nicht minder fantasiebegabten Sohns Gary immer dunkler. In einer spektakulären Flucht aus der Psychiatrie in das Schloss ihrer Träume flammt zwar nochmals die Leidenschaft auf. Doch wie wird Camille mit ihren inneren Dämonen, die sie überallhin begleiten, umgehen?
Opulente, überbordend gefühlsselige Szenen
Régis Roinsard stattet seinen Film mit opulenten, überbordend gefühlsseligen Szenen und Bildern aus und zeigt mit dem Bruch in den Wahn umso mehr die Fallhöhe einer manisch-depressiven Frau, die zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt schwankt.
En attendant Bojangles
Regie: Régis Roinsard
F 2021, 124 Minuten
Ab Do, 4.8., im Kino