Ein Umzug steht an. Es geht für Frida (Laia Artigas) von der grossen Stadt Barcelona aufs Land in jenem Sommer 1993. Erwachsene reden über sie («die Arme»). Da ist die noch rätselhafte Sache mit den Bluttests, die Frida machen muss. Bis es deutlicher wird: Frida ist Vollwaise. Ihre Eltern sind offensichtlich beide Opfer von HIV geworden. Spanien war Anfang der 1990er-Jahre ein trauriges «Rekordland». 21 000 Menschen starben an Aids, Spanien lag in Europa an der Spitze.
Herzzerreissende Suche nach der Mutter
Fridas Tante Marga und Onkel Esteve sind jetzt ihre neuen Eltern, ihre Cousine Anna (Paula Robles) wird zur Schwester. Die Sechsjährige hat eine neue Familie gefunden, in deren Schoss sie liebevoll aufgenommen worden ist. Doch es ist nicht einfach: Als Frida einmal stürzt und blutet, ruft Marga: «Fass sie nicht an!»
Es sind an sich ungetrübte Sommertage, die Frida verbringen darf. Einmal verkleidet sie sich als Erwachsene, grell geschminkt, mit viel zu grossen Cowboystiefeln an den Füssen und mit Federboa um den Hals. Dann wieder, im Spiel mit der dreijährigen Anna, die mit Blick auf das Festnetztelefon fragt: «Magst du deine Mama anrufen?» Frida wählt eine Nummer, es klingelt viele Male, aber niemand ist am anderen Ende. Herzzerreissend.
Trotz Liebe braucht Frida, wie Marga meint, auch Strenge: «Sie ist skrupellos und verwöhnt.» Bei allem, was das Kind durchmache, müsse man ihm «Grenzen setzen», ist sie überzeugt. Und direkt zu Frida gewandt: «Du bist eine Katastrophe.»
Frida versteht wohl noch nicht alles. Immer wieder sucht sie nach ihrer Mutter, etwa nachts mit der Taschenlampe. Oder sie will zurück nach Barcelona. In der Nacht packt sie ihre Sachen und verschwindet heimlich. Weit kommt Frida nicht. Sie kehrt zurück: «Ich gehe morgen, heute ist es zu dunkel.» In der Schlussszene tollen alle vier der neuen Familie auf dem Bett herum, eine fröhliche Gemeinschaft – bis Frida zu weinen beginnt.
Kinder mit grossem Schauspieltalent
Im Nachspann widmet Regisseurin und Drehbuchautorin Carla Simón ihr Langfilmdebüt ihrer eigenen Mutter Neus. «Summer 1993» ist autobiografisch grundiert. Simón, Jahrgang 1986, gehört zu jenen 70 Prozent Kindern, denen HIV nicht von ihrer infizierten Mutter weitergegeben wurde. Der Film erzähle laut Simón «nicht nur meine Geschichte, sondern die Geschichte der Generation meiner Eltern und meiner eigenen Generation, die mit den Konsequenzen leben musste».
Im Februar frappierte der US-amerikanische Film «The Florida Project» über prekäre Langzeitbewohner eines Motels mit einer Gruppe von beeindruckenden Kinderdarstellern. Auch in diesem katalonischen «Kinderfilm» agieren Kids in umwerfend authentischem Spiel vor der Kamera. Das beglückt und betrübt, ist schön und traurig zugleich. Und ungemein berührend.
Summer 1993 (Estiu 93)
Regie: Carla Simón
Ab Do, 26.7., im Kino