Die Familie der 14-jährigen Ana (Ornella D’Elía) beschliesst, über Neujahr für ein paar Tage aufs Land ins Haus von Grossmutter Mémé zu fahren. In dieser Region herrscht schwül-heisses Sommerwetter. Am Familientreffen nehmen auch Onkel und Tante sowie die Cousins teil. Wider Erwarten reiht sich der etwas ältere Teenager Alejo (Rafael Federman) in die Gemeinschaft ein. Er weckt bei seiner Cousine Ana verstecktes erstes erotisches Interesse. Heimlich macht sie mit dem Handy Fotos ihres Cousins.
Alejo ist der romantisch veranlagte Literaturfreund, der Ana Zeilen aus Arthur Rimbauds «Wintertraum» vorliest und ihr den Gedichtband schenkt. Die platonische Zuneigung des Schöngeistes wird sich gegen Ende des Films in ein zwar nur angedeutetes, aber eindeutig interpretierbares gewalttätiges Handeln verwandeln. Es offenbaren sich schockierende Tatsachen.
Fragile Familienbande
Die Familien stammen aus der oberen Mittelklasse und betreiben gemeinsam ein Verlagsunternehmen. Mutter Luisa (Érica Rivas) arbeitet als Übersetzerin und hat eigene literarische, aber zurückgestellte Ambitionen. Soweit ist alles idyllisch beim Aufenthalt auf dem argentinischen Landgut. Sie essen zusammen, planschen im Swimmingpool, gehen angeln, vergnügen sich beim Feuerwerk. Die Jungen begeben sich auf Abenteuerstreifzüge im dschungelartigen Wald und in den Flüssen der Umgebung.
Ein erster Konflikt zeichnet sich innerfamiliär ab, als es um die Entscheidung geht, was mit dem Haus und dem Land passieren soll. Grossmutter Mémé möchte es verkaufen. Das entsprechende Schild hat sie am Eingangstor bereits montiert. Luisas Mann Emilio spielt dagegen mit dem Gedanken, die Liegenschaft zu behalten – gemeinsam mit den Geschwistern oder allein. Die eigene Ehe ist problembeladen, der Familienzusammenhalt bedroht.
Nicht nur Ana ist, wie eine frühe Szene zeigt, eine Schlafwandlerin. Mutter Luisa sagt es einmal: «Ana ist seltsam.» Es stellt sich heraus, dass der Somnambulismus in der Familiengeschichte bereits bekannt ist. So ist der Filmtitel «Los Sonámbulos» («Die Schlafwandler») wörtlich zu verstehen. Aber auch im übertragenen Sinn: Die Mitglieder dieser Familie straucheln blind in Problemfelder hinein. Nach und nach wird klar, dass die Familienbande fragil sind: Vordergründig scheint soweit alles im Lot, doch unter der Oberfläche brodelt es. Eine Eskalation scheint unvermeidlich. Wenn sich die einen handfest streiten, so bleibt am Ende die Solidarität zwischen Tochter Ana und Mutter Luisa.
Die Bedrohung im Idyllischen
Regisseurin und Drehbuchautorin Paula Hernández setzt das Familiendrama mit grosser Nähe zu ihren Filmfiguren um, oft kommt die Handkamera mitten im Geschehen zum Einsatz. Subtil erzählt sie von Spannungen und von der Bedrohung im Idyllischen.
Los Sonámbulos
Regie: Paula Hernández
Ab Fr, 29.5., auf www.filmingo.ch