Wer noch das idyllische Plakat im Aushang vor Augen hat, wähnt sich zuerst im falschen Film. «Fahim», so die durchaus berechtigte Erwartung, erzählt die beschauliche Geschichte des hochtalentierten kleinen Schachspielers Fahim aus Bangladesch. In Frankreich trifft er auf den gestrengen Trainer Sylvain. Von ihm lernt er, mit ihm reift er. Doch, oh Schreck: Zu Filmbeginn ist der kleine Fahim noch zu Hause in Dhaka, wo die Polizei gerade einen Aufstand brutal niederschlägt. Die Szenen erinnern an kriegerische Handlungen, Fahims Vater Nura entkommt nur knapp der Verhaftung. Ihm wird klar, dass er zum Schutz der Familie fliehen muss. Der achtjährige Fahim hat derweil nur das Schachspielen im Kopf und ist hocherfreut, als Vater Nura ihm verkündet, er bringe ihn zu einem Grossmeister nach Paris.
Erst als er Mutter und Geschwister zurücklassen muss, wird Fahim die Dramatik der Umstände bewusst. Im gelobten Frankreich landen Vater und Sohn rasch in der Obdachlosigkeit, was in Fahim aber den Ehrgeiz anstachelt.
Hier Happy End, dort trister Showdown
Im Gegensatz zum hadernden Vater lernt er innert Kürze Französisch und findet in Sylvain zwar keinen Grossmeister, aber einen begehrten Schach-Trainer. Fahim und Sylvain (gewohnt bärbeissig: Gérard Depardieu) reiben sich zuerst heftig aneinander, finden dann aber zu einer Vernunfts-Beziehung. Denn Sylvain erkennt sofort Fahims Talent und will ihn an die anstehende National-Meisterschaft bringen.
So findet Fahim Anschluss und eine Art Obhut, die dem Vater gänzlich abgeht. Da beide mittlerweile als Illegale gelten und bei Entdeckung abgeschoben werden können, taucht Vater Nura ab. Fahim wohnt vorübergehend bei Sylvain oder seiner Assistentin Mathilde (herzerweichend: Isabelle Nanty). Und die beiden schaffen es tatsächlich, ihr Wunderkind an die französische Meisterschaft in Marseille zu bringen. Diese Entwicklung hin zum Happy End durchbricht Regisseur Pierre-François Martin-Laval in Gegenschnitten mit dem tristen Showdown von Nuras Geschichte. Fast alles endet gut, wie im Fall des realen Fahim Mohammad, dessen Geschichte die Vorlage zum Film war.
Beeindruckend ist, wie Martin-Laval seinem Feelgood-Movie einen doppelten Boden gibt. «Schach ist Krieg», verweist Sylvain einmal auf die Parallelen zwischen Spiel und Leben – für Fahim und Nura hat dies existenzielle Gültigkeit. So ruft dieser schön gefilmte und zuweilen lustige Film das Schicksal jener Flüchtlinge in Erinnerung, die es zwar nach Europa geschafft haben, aber abgeschottet und in ständiger Angst leben. Beeindruckend die Leistung des Laiendarstellers Assad Ahmed als Fahim, der Schachspiel und Französisch erst während der Dreharbeiten lernte. Und überraschend einmal mehr Gérard Depardieu: Sorgt der französische Kultstar im Privatleben und aufgrund seiner Freundschaft mit Vladimir Putin regelmässig für Skandale, verleiht er diesem Sylvain, der zum empathischen Kämpfer für Menschlichkeit und Gerechtigkeit wird, eine Intensität und Glaubhaftigkeit von nachhaltiger Wirkung. Chapeau.
Fahim
Regie: Pierre-François Martin-Laval
Ab Do, 14.11., im Kino