Jeder Handgriff sitzt. Der Aufbau des mobilen Kino-Equipments geschieht reibungslos. Obwohl Michael «Mike» Pfenninger und Gregor Wey erst das dritte Mal miteinander arbeiten, müssen sie sich nur wenig abstimmen. Jeder weiss, was er zu tun hat. Beide sind als freischaffende Filmtechniker tätig: Wey in einem Kino in Bern, Pfenninger als Cheftechniker bei verschiedenen Kulturveranstaltungen.
Austausch unter den Sprachregionen fördern
Heute sind die beiden im Auftrag von Roadmovie unterwegs. Seit 2003 schickt der gemeinnützige Verein einen weissen Fiat Ducato quer durch die ganze Schweiz. Der Laderaum des Kleintransporters ist gefüllt mit Technik und Schweizer Filmmaterial und bringt Kino dorthin, wo es keines gibt. Meist sind das entlegenere Ortschaften in Bergregionen mit weniger als 5000 Einwohnern.
An diesem schwülen Donnerstagnachmittag im Juli gehts für einmal nicht in die Berge. Auftraggeber ist Meyrin. Die Stadt mit über 20 000 Einwohnern liegt rund zehn Autominuten von Genf entfernt. Der Stadtrat will den Einwohnern im Corona-Sommer eine Alternative für die vielen abgesagten Veranstaltungen bieten. Axel Roduit, Kulturverantwortlicher von Meyrin, musste nicht lange nach einem adäquaten Ersatz suchen. Schon zuvor hatte er im Auftrag des Kantons Wallis mit Roadmovie zusammengearbeitet. Die unkomplizierte und professionelle Arbeit überzeugte ihn. Und er sagt auch: «Die Philosophie, Schweizer Filmkultur zu fördern, ist wichtig und verbindet über die Sprachregionen hinweg.» Deshalb gibt es während der Sommerferien in der Schulaula einmal pro Woche einen Kinotag mit je einer Filmvorstellung am Nachmittag und am Abend.
Herbsttournee durch 36 Gemeinden
Roadmovie bietet sein ganzes Fachwissen rund ums Kino und Filmschaffen an. Sei es für Open-Air-Kinos an lauschigen Orten oder für die Miete von Filmequipment. So kamen etwa das beschauliche «Kino am Strand» in Yvonand direkt am Ufer des Neuenburgersees zustande oder das Open-Air-Kino bei der Bündner Länta-Hütte oberhalb Vals auf 2090 Meter Höhe. Aber auch Stummfilmabende, begleitet von einem Live-Orchester, sind schon realisiert worden. «Den Möglichkeiten sind praktisch keine Grenzen gesetzt, sobald eine Steckdose in der Nähe ist», erklärt Gregor Wey.
Doch das eigentliche Herzstück des Vereins ist die jährliche Herbsttournee zur Filmförderung. Während neun Wochen besucht eine wechselnde Crew, bestehend aus einem Moderator und zwei Technikern, insgesamt 36 Orte. Diesen Herbst touren sie durch 19 Gemeinden der Deutschschweiz, 15 der Romandie und zwei im Tessin. Der Nachmittag steht jeweils im Zeichen der für Schulen konzipierten Filmprogramme, kombiniert mit Workshops. Den Jungen wird das Filmschaffen in der Praxis und die Bedeutung des bewegten Bildes nähergebracht. Abends sind dann jeweils alle in der Gemeinde eingeladen, gemeinsam einen Film zu geniessen. Die Arbeit wird teilsubventioniert von Bund, Kantonen und Gemeinden. Der Veranstalter bezahlt die Filmrechte, Kost und Logis der Crew, die Kinobesucher können einen freiwilligen Beitrag spenden.
Während Gregor Wey in Meyrin das in graue Plastikboxen verpackte Material vom Lieferwagen auf den Trolley lädt, hat Mike Pfenninger die vorhandene Technik in der Aula überprüft. Nach knapp einer Stunde sind alle nötigen zusätzlichen Installationen erledigt: je eine Box links und rechts der Leinwand aufgestellt, die Stromkabel abgeklebt, das trapezförmige Holzgestell mit dem Filmprojektor hinter der letzten Sitzreihe aufgestellt.
Das Mischpult, das früher zum Regeln von Licht, Lautstärke und Bild diente, ist heute nur noch ein Verbindungsstück zwischen Laptop und Projektor. Denn inzwischen lässt sich alles auf dem Laptop steuern.
Leidenschaft für die Tradition des Wanderkinos
In einem Mix aus Deutsch, Französisch und Englisch stimmen sich die beiden ab. Denn Gregor Wey ist aus der Deutschschweiz, Mike Pfenninger aus Neuenburg. Die Leidenschaft zum Kino verbindet die beiden trotz Sprachbarrieren. Das gilt für das ganze Roadmovie-Team: Egal, ob Festangestellte oder Freie, alle sind engagierte Filmliebhaber und Kinofreunde und wollen die Tradition des Wanderkinos weiterführen.
Es folgt der erste Bild- und Tontest. Pfenninger ist unzufrieden mit der Bildschärfe. Mit wenigen Handgriffen wechselt Wey das Objektiv im Projektor aus. Sein Kollege drückt erneut die Play-Taste. Nun stimmt alles, Ton und Bild sind auf Kinoqualität eingestellt. Die Uhr zeigt halb drei. Mittagspause.
Kurz vor vier treffen die Besucher ein und werden von Axel Roduit begrüsst. Und wenig später heisst es: Licht aus und Film ab! Mike Pfenninger drückt Play und der Vorspann des Films «Ma vie de Courgette» flimmert über die Leinwand. In der Aula sitzen Eltern mit ihren Kindern, pensionierte Paare, Seniorinnen und zwei junge Frauen. Die vorderen Sitzreihen bleiben leer. Es ist wie damals im Schulunterricht, niemand mag sich ganz nach vorn setzen. Doch Bild, Licht und Ton lassen Kinoatmosphäre in der Aula entstehen. Nur ab und zu erinnern die etwas harten, orangen Plastikstühle und das fehlende Popcorn daran, dass man nicht in einem «echten» Kino sitzt.
Der preisgekrönte Animationsfilm zieht die Zuschauer in seinen Bann. Erst nach dem Abspann steht Gregor Wey auf und drückt den Lichtschalter. Ruhig und etwas nachdenklich verlassen die Besucher die Aula – Corona-bedingt – über den Notausgang.
Die Sitzreihen sind nun leer. Mike Pfenninger öffnet sein digitales Archiv, um den Film «Révolution silencieuse» für die Abendvorstellung zu testen. Schon beim ersten Anlauf klappt alles nach Wunsch. Das bedeutet Pause für die beiden, bis sich am Abend nochmals die Kinoreihen füllen.
Roadmovie
Mobiles Kino bis Fr, 28.8.
Herbsttournee ab Mo, 21.9.
Ganzes Programm unter: www.roadmovie.ch/kalender