Es waren finstere Zeiten vor 50 Jahren in Irland. Teenager Philomena Lee wird schwanger, was eine Sünde ist. Es folgt die Zwangseinweisung für vier Jahre ins Nonnenkloster, wo sie zusammen mit anderen «gefallenen» Frauen sieben Tage in der Woche als Wäscherin schuften muss.
Unter Schmerzen bekommt Philomena hier ihren Sohn Anthony, der als Dreijähriger weggegeben wird. Wie sich später herausstellt, haben die frommen Schwestern in Irland einen lukrativen Adoptionsmarkt aufgebaut, bei dem sie Kinder an US-amerikanische Ehepaare verkaufen. Der Rest ist Lügen und Vertuschen.
Ende des Schweigens
Ein halbes Jahrhundert später. Philomena Lee (Judi Dench) schweigt nicht weiter. Sie weiss als Katholikin nicht recht, welches die Sünde war: der damalige Sex, der ihr grossen Spass gemacht hat, oder der Umstand, dass sie ihre Verfehlung verschwiegen, quasi all die vielen Jahre gelogen hat. Sie offenbart sich ihrer Tochter, welche die Geschichte ihrer Mutter einem Journalisten anvertraut. Es ist der ehemalige BBC-Mann Martin Sixsmith, der soeben als Berater von Tony Blair geschasst wurde.
Solche «human interest stories», Geschichten aus dem Leben, sind nicht wirklich sein Ding. Er würde lieber ein Buch über Russland schreiben. Aber das Schicksal der nun pensionierten Krankenschwester Philomena packt ihn, den leicht zynisch Gewordenen. Es folgt eine in der Konsequenz erschütternde Spurensuche.
Martin Sixsmiths alte Verbindungen helfen, in den USA tatsächlich die Identität des verlorenen Sohnes ausfindig zu machen. Philomena bangt und fragt sich, ob aus Anthony etwas Rechtes geworden ist – «Was, wenn er drogensüchtig oder übergewichtig ist, wie so viele US-Amerikaner?» Die Wahrheit, die ans Licht kommt,
ist brutaler als all ihre Vermutungen.
Wahre Begebenheiten
Der Film von Stephen Frears beruht auf wahren Begebenheiten. Konkret sind es die in Buchform erschienenen Tatsachen, wie sie Martin Sixsmith 2009 publizierte. Die erschütternde und herzzerreissende Geschichte von Philomena wird in Rückblenden erzählt, während sich das ungleiche Paar in der aktuellen Filmzeit auf der Suche befindet. Und was für ein herrlich gegensätzliches Paar das ist: Auf der einen Seite die «ungebildete» gläubige Pensionierte, die gerne Kitschromane liest, auf der anderen der vom Glauben längst abgefallene Intellektuelle, der in «Oxbridge» (so Philomena) studiert hat und sich jedenfalls anfangs ziemlich nervt ob des Getues der Alten.
Steve Coogan, den man sonst aus dem komischen Fach kennt, spielt Martin Sixsmith. Coogan hat den Film als Herzensanliegen auch produziert und am Drehbuch mitgeschrieben. Ihm nimmt man diese – für einmal andere – Rolle bestens ab, ebenso der ausgezeichneten Judi Dench, die ausser als Charakterdarstellerin siebenmal im Mainstreamkino als Bond-Chefin M agierte.
Philomena
Regie: Stephen Frears
Ab Do, 23.1., im Kino