Gereizte Passagiere, die sich im platschvollen Bus über alles Mögliche beklagen. Der Comiczeichner Petrow (Semyon Serzin) ist mitten unter ihnen. Einer wird rausgeworfen, dann führt die Kamera zu einer Erschiessungsaktion. Petrow ist gesundheitlich angeschlagen, sieht nicht gut aus, aber Krebs hat er keinen, wie ein Fahrgast vermutet.
Es ist nur eine Grippe. Der englische Verleihtitel «Petrov’s Flu» wird auf Deutsch mit «Familie Petrow hat die Grippe» übersetzt. Auch seine Frau Petrowa (Chulpan Khamatova), die in der öffentlichen Bibliothek arbeitet, schwächelt. Ziemlich dramatisch wird es, als auch der kleine Sohn krank wird.
Das Geschehen in einem post-sowjetischen Russland spielt sich an Silvester ab. An diesem Tag findet unter anderem eine Kinderkostümparty im Theater statt, wo getanzt und gesungen wird und Väterchen Frost erscheint. Das lineare, reale Erleben der Protagonisten wird immer wieder durchkreuzt von Erinnerungen und Traumbildern.
Gedreht wurde noch in Russland
Der Film ist eine Tagesreise ans Ende der Nacht. Alles mutet buchstäblich fiebrig an, wenn Figuren wie Petrow delirieren. Etwa dort, wo ein desillusionierter Dichter mit Hilfe von Petrow den Freitod wählt. Wenn der Dichter in einer Szene eine Probe leitet, war das vorher oder nachher, oder fand es gar nicht statt? Oder war sie wirklich, die Silvesterparty, die später in Schwarz-Weiss noch einmal aus einer anderen Perspektive erscheint? Sehr realistisch zeigt sich die Wodkafeier im Leichenwagen mit dem trinkfesten Freund Igor.
Der Opern-, Theater- und Filmregisseur Kirill Serebrennikow hat diesen Film noch in Russland realisieren können. Dies, nachdem er von Putins Behörden angeklagt und unter Hausarrest gesetzt wurde. Aktuell kann der Regisseur in Hamburg am Thalia-Theater arbeiten. Sein jüngster Film wurde soeben in Cannes gezeigt. «Petrov’s Flu», sein zweitjüngstes Kinowerk, ist eine ins Surreale und Groteske kippende böse Betrachtung von Zuständen in einer bekannten, unschönen Welt.
Petrov’s Flu
Regie: Kirill Serebrennikow
RU/F 2021, 146 Minuten
Ab Do, 23.6., im Kino