Den Begriff «autobiografisch» weist Regisseur und Drehbuchautor Tony Gatlif für seinen Film «Tom Medina» von sich. Sehr wohl sind in der Geschichte des jungen Titelhelden aber Parallelen zu einer Lebensphase von Gatlif auszumachen.
Der Film erzählt von einem jungen Delinquenten, der vom Jugendrichter einen Aufenthalt auf dem Hof des Pferdezüchters Ulysse in der Camargue aufgebrummt bekommt. Eine Chance zur Besserung soll es sein, wenn Tom bei seinem Meister zum «gardian», zum Hüter von freien Pferden und Stieren, ausgebil-det wird. Schauspieler Slimane Dazi, oft als Bösewicht besetzt, spielt hier überzeugend einen ganz anderen Charakter: einen strengen, aber ebenso väterlich gütigen und grossherzigen Mann.
Tom träumt davon, ein Torero zu werden. Er versucht, den richtigen Weg zu finden. Für Ulysse, der Bücher auf Provenzalisch liest, rezitiert er an dessen Geburtstagsfest ein Gedicht in der Sprache der Troubadoure.
Flucht von Nordafrika nach Europa
David Murgia spielt Tom, der ein Geheimnis mit sich trägt: das Geheimnis seiner Herkunft. Wer ihn danach fragt, bekommt zur Antwort: «Von anderswo.» Tom scheint frei und wild wie die Tiere in der berückend schönen, aber auch rauen Landschaft mit ihren Sümpfen, Seen und der Küste des Mittelmeers. Über das Meer ist Tom einst gekommen. Er war auf der Flucht von Nordafrika nach Europa. Sein Bruder ist beim Schiffbruch ums Leben gekommen. Tom geriet auf die schiefe Bahn. Sein Name ist auch nicht sein richtiger. Er ist ein Sans-Papiers, der sich den Behörden gegenüber als Medina ausgab.
So wie Filmemacher Gatlif: Auch sein Name ist erfunden. Auch er, geboren 1948 in Algerien, war einst als Jugendlicher nach Frankreich geflüchtet. Wie Tom war der junge Tony ins Besserungsprogramm zu einem Meister in der Camargue geschickt worden. Das Schicksal führte ihn schliesslich zum Film. Heute ist Gatlif ein mit höchsten staatlichen Ehren ausgezeichneter, international anerkannter Regisseur.
Tom begegnet anderen Menschen. Da ist Stella (Karoline Rose), die Tochter von Ulysse. Sie betreibt einen Musik-Blog und ist ihrem Vater eine grosse Hilfe als Hufschmiedin. In der Natur, die von Plastikmüll bedroht ist, trifft Tom auch auf die Umweltaktivistin Suzanne (Suzanne Aubert). Am Schluss sieht man die beiden in einem hoffnungsvoll-optimistischen Bild, wie sie sich gemeinsam auf einen langen Weg machen.
Untermalt mit Flamenco-Gesang
«Tom Medina» ist eine in starken Bildern erzählte, wunderbare Ode an die Natur, an die Camargue im Besonderen und an die Menschlichkeit, die sich gegen die Widrigkeiten des Lebens durchsetzen kann. Im Film umgesetzt mit einem einzigartigen Ensemble. Nicht zuletzt spielt die Musik eine wichtige Rolle. Flamenco-Lieder, an denen Tony Gatlif mitgeschrieben hat, erzählen und kommentieren. Gesungen werden sie von Grössen wie Manero und Nicolas Reyes (Gipsy Kings).
Tom Medina
Regie: Tony Gatlif, F 2021, 100 Min.
Ab Do, 9.6., im Kino