Zahira geht mit 18 Jahren noch zu Schule. Von ihrem Freund wird sie geschwängert. Kein grosses Problem, die Eltern und der ältere Bruder Amir (Sébastien Houbani) zeigen Verständnis. Die Lösung: Abtreibung. Zahira fällt – vorerst – einen einsamen Entscheid.
So verständnisvoll und «modern» sich ihre Verwandtschaft in dieser Angelegenheit zeigt, so rückständig erweist sie sich in Heiratsdingen. Denn Zahira soll zwangsverkuppelt werden. Drei potenzielle Ehegatten in Pakistan sind bereits ausgewählt. Zahira muss sich nur für einen von ihnen entscheiden. Das will sie partout nicht.
Zahira (Lina El Arabi in ihrem Kinodebüt) sieht sich im Konflikt zwischen dem Zwang, der Liebe und Loyalität zu ihrer Familie auf der einen Seite und ihrem Freiheitsdrang. Sie widersetzt sich und findet Unterschlupf bei ihrer besten Freundin Aurore. Zu Hause lässt sie ausrichten: «Sie kommt erst wieder zurück, wenn sie nicht gezwungen wird, zu heiraten.» Klare Worte findet der Vater, der in der Schule auftaucht: «Entweder kommst du heim oder du stirbst.» Der Rektor ruft die Polizei.
Aurores Vater André (Olivier Gourmet), der Zahira von Kindheit auf kennt, will vermitteln und dem Vater den Plan ausreden. Vater Mansoor: «Schau mal hier, allein in dieser Strasse leben 15 ledige Frauen – das sind mehr als in Pakistan. Unglückliche.»
Die ältere Schwester Hina kommt aus Spanien angereist, um die jüngere zu überreden. Doch Zahira wehrt sich, es sei ungerecht, zwangsverheiratet zu werden. Hina: «Natürlich ist es ungerecht. Wir sind Frauen. Was denkst du denn? Nichts ist gerecht. Nie.» Hina hat sich selber zwangsverheiraten lassen und ist angeblich glücklich. Sie hat sich arrangiert und findet zu solch fatalistischen Worten.
Die gewählte Freiheit ist trügerisch
Tatsächlich: Zahira macht mit. Die Heiratszeremonie vollzieht der Imam am Laptop per Skype, die Braut in Belgien, der Bräutigam in Pakistan. «Mitgift 2 Millionen Rupien.» Schon bald soll es in die Heimat des Gatten gehen. Zahira hat es nicht so schnell erwartet. Sie trifft wieder einen Entscheid. Zusammen mit dem Handwerker Pierre flüchtet sie per Töff in eine Hütte in die Ardennen. Sie scheint eine neue Liebe gefunden zu haben. In einer SMS bittet sie die Familie um Verzeihung – «Ich fliege nicht.» Fast scheint alles gut zu werden, auch wenn der Vater einen Herzanfall erleidet. Um frei zu werden, braucht Zahira ihren Pass. Doch die gewählte Freiheit ist trügerisch und kehrt sich in ihr Gegenteil. Zahira tappt in eine Falle, als sie daheim den Pass holen will. Im schockierenden Filmende zeigen sich die fatalen Folgen.
«Noces» ist ein Film über Familienehre, über die Zerrissenheit einer Generation unter dem Joch der religiös geprägten Elterngeneration. Das ist eindringlich erzählt. Regisseur und Drehbuchautor Stephan Streker filmte «Noces» – für ihn «wie eine griechische Tragödie» – inspiriert von wahren Begebenheiten.
Noces
Regie: Stephan Streker
Ab Do, 14.12., im Kino