Ein Mann mit Strohhut streift durch Felder und Wiesen der Provence. Er hat Malzeug dabei, Staffelei, Palette, Leinwand, Pinsel. «Ich suche neues Licht, Bilder, wie man sie noch nie gesehen hat», sagt er an einer Stelle im Film des US-amerikanischen Regisseurs und bildenden Künstlers Julian Schnabel. «Wenn ich eine flache Landschaft sehe, sehe ich nichts als die Unendlichkeit.»
Nach dieser Unendlichkeit sehnt sich Vincent van Gogh. Der holländische Maler (1853–1890) ist fremd im kleinen südfranzösischen Ort Arles. Arm ist er auch. Sein Bruder Theo (Rupert Friend) wird ihn finanziell unterstützen. In Paul Gaugin (Oscar Isaac) findet van Gogh einen Freund, bis dieser weiterziehen wird in die Ferne.
Annäherung an einen verkannten Künstler
Vincent van Goghs Kunst ist ihrer Zeit voraus, sein Werk und er selber passen nicht an diesen Ort der Ignoranz. Früher hätten Künstler noch richtig malen können, wettert eine Lehrerin, die mit ihrer Klasse draussen in der Natur zufällig auf van Gogh trifft, der mit seltsamen Farben Baumwurzeln auf die Freiluft-Leinwand pinselt. Eine schöne «Maltheorie» formuliert er andernorts bei der Frage, warum er die Blumen in der Vase auf einem Tisch male: «Sie bleiben, die echten verwelken.»
Man kommt aus der grossen Distanz der Jahre dem genialen, in seiner Zeit verkannten tragischen Künstler sehr nahe im Film. Dem Menschen, der zu viel trank, dem Künstler in seinem Denken und Fühlen. Und man sieht ihn malen. Die bewegliche Handkamera von Benoît Delhome begleitet den Protagonisten, drinnen und draussen in der Weite.
Ein Glücksfall ist die Besetzung van Goghs mit dem US-Schauspieler Willem Dafoe. Der ist zwar im wirklichen Leben 63 Jahre alt, interpretiert seine Rolle aber stimmig, weil van Gogh zwar bereits als 37-Jähriger starb, aber eben bereits «alt aussah». Es stellt sich der Effekt ein, dass Willem Dafoe («The Florida Project») eine frappierende Ähnlichkeit mit dem wirklichen van Gogh zu entwickeln beginnt.
«Ein Werk purer Imagination»
Julian Schnabels Co-Drehbuchautor, der Franzose Jean-Claude Carrière, sagt zu ihrem gemeinsamen filmischen Unterfangen, es sei «in seinem Kern ein Werk purer Imagination». Freilich stimmen die Rahmenbedingungen, die Eckdaten, manch Zitat. Doch Schnabel und Carrière haben sich auch «Szenen ausgedacht, die sich so abgespielt haben könnten». Was der Film mit Bestimmtheit nicht wollte: «eine Biografie abzuliefern oder die üblichen Fragen zu beantworten», wie Carrière sagt. Das Interesse der Filmemacher war vielmehr, zu zeigen, wie sehr sich van Gogh in den letzten Jahren seines Lebens bewusst gewesen sei, dass er eine neue Vision der Welt hatte und nicht mehr wie andere Maler malte. Dieses Interesse hat sich im fertigen Film bestens realisiert.
75 Bilder hat van Gogh übrigens in den 80 Tagen in der Provence gemalt. Zeitlebens hat er ein einziges verkaufen können.
Van Gogh – At Eternity’s Gate
Regie: Julian Schnabel
Ab Do, 18.4., im Kino