Eine Literaturverfilmung gibt dem Publikum Bilder vor, die sich der Leser bei der Lektüre anders gemacht hat: Figuren, Schauplätze, Atmosphären – man stellt sie sich beim Lesen vor, erschafft sich die Romanwelt selber. Das Kopfkino des Buches kann dem Leinwandkino manchmal in die Quere kommen.
Die Geschichte von «Der Trafikant» bleibt da wie dort dieselbe. Besondere Umstände zwingen den 17-jährigen Franz Huchel (Simon Morzé), im Jahr 1937 seine ländliche Heimat im Salzkammergut zu verlassen und nach Wien zu ziehen. Dort soll er bei einer früheren Sommerliebe der Mutter als Trafikant arbeiten. Otto Trsnjek (Johannes Krisch) betreibt eine Trafik: ein Kiosk mit Tabakwaren und Zeitungen.
Eine Freundschaft entspinnt sich
Zu den Stammgästen gehört der weltbekannte «Deppendoktor» Sigmund Freud. Der Zürcher Schauspieler Bruno Ganz verkörpert den prominenten Zeitgenossen mit dezenter Zurückhaltung. Franz wird wiederholt mit dem berühmten Mann ins Gespräch kommen, und er sucht bei ihm Rat in Liebesdingen. Denn Franz wird in Wien auch zum Mann. Er verliebt sich in die böhmische Variété-Tänzerin Aneska (Emma Drogunova), eine Beziehung von kurzer Dauer.
Die Vorboten hatten sich schon angekündigt, im März 1938 ist es so weit: Der sogenannte «Anschluss» ans Deutsche Reich wird vollzogen. Die Hakenkreuze hängen überall. Und Trsnjek bekommt unliebsamen Besuch: Herren von der Gestapo nehmen ihn mit – wegen Verbreitung unerlaubter Schriften. Als Gestapo-Scherge tritt Roman-Autor Robert Seethaler selbst im Film auf: Im Abspann wird seine Rolle als «der Hagere» aufgeführt.
Die Wahrheit getraut sich Franz seiner Mutter nicht zu schreiben. Der Trsnjek sei krank geworden, dann verreist («aber er kommt bald wieder»). In Wahrheit ist Otto ermordet worden. Franz reagiert mit einer mutigen Heldentat, die für ihn fatale Folgen zeitigt …
Schlechte Adaption – gute Geschichte
Die nötigen Verkürzungen bei der Adaption des Romans führen mitunter zu klischiertem Ausdruck. Freuds gute Ratschläge an seinen jungen Freund geraten da und dort in gefährliche Nähe zu Teekannensprüchen. Ein Eindruck, den man beim Film erhält, obwohl die Sätze auch im Buch stehen: «Von der Liebe versteht niemand etwas wirklich.» Und: «Liebe ist immer ein Irrtum.» Oder dies: «Mit den Frauen ist es wie mit Zigarren: Je mehr man an ihnen zieht, desto mehr verweigern sie einem den Genuss.»
Das Wien der Jahre 1937/38 ist etwas gar pittoresk gezeichnet. Manchen mögen es zu helle Bilder sein für eine dunkle Zeit. Ein künstlerischer Gewinn ist hingegen die Reihe von Traumszenen, die Regisseur Leytner mit eigenen Visualisierungen gestaltet.
Es ist immer noch die anrührende Geschichte von einem Jungen, der in politisch schwierigen Zeiten die Welt und die Liebe entdeckt. Wer den Roman von Robert Seethaler kennt, dürfte diese Adaption nicht unbedingt mögen. Wer ihn nicht kennt, dem wird mit dem Film eine gute Geschichte erzählt. Immerhin.
Der Trafikant
Regie: Nikolaus Leytner
Ab Do, 1.11., im Kino