Die Kamera ist immer ganz nah bei Jaakko (Petri Poikolainen) und nimmt konsequent seine Perspektive ein. Sie ist fokussiert auf sein Gesicht oder seine Hände. Der Rest ist unscharf, die Bildränder erscheinen verschwommen. Eine aussergewöhnliche formale Gestaltung für einen ungewöhnlichen Film.
Mit köstlichem Galgenhumor
Jaakko leidet an Multipler Sklerose (MS), er sitzt im Rollstuhl, und er ist blind. Er pflegt eine Fernliebe zu Sirpa (Marjaana Maijala), die ebenfalls mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen lebt. Die beiden verständigen sich über ihre Handys. Persönlich begegnet sind sie sich noch nie.
Sie begrüsst ihn beim Anruf jeweils mit einem heiteren «Morgen, Murmeltier!» Er nennt sie liebevoll «Sumpfmonster». Eines Tages stellt Sirpa die Frage: «Werden wir uns überhaupt einmal sehen, bevor einer von uns stirbt?» Jaakko ist mit köstlichem Galgenhumor gesegnet. Sein Schicksal könnte ihn verzweifeln lassen. Doch er nimmt es mit beneidenswerter Gelassenheit an.
Er erinnert sich gern an Filme, die er gesehen hat, als er sein Augenlicht noch hatte. Einer seiner Lieblingsregisseure ist James Cameron. Als er auf Sirpas Wunsch für sie mit dem Handy sein DVD-Regal filmt, stellt sich heraus: Die DVD-Hülle des Cameron-Films «Titanic» steht zwar dort, ist aber noch immer eingeschweisst. Jaakko ist der Mann, der «Titanic» nicht sehen wollte.
Das könnte sich ändern. Als Jaakko überraschend 6000 Euro beim Lotto gewinnt, beschliesst er spontan, Sirpa zu besuchen. Das fordert ihm einiges an Reiselogistik ab. Er begibt sich allein auf eine beschwerliche und nicht ungefährliche Fahrt mit Taxis und Zug.
Petri Poikolainens eigene Geschichte
Hauptdarsteller Petri Poikolainen muss seine Beeinträchtigungen nicht spielen: Sein persönliches Schicksal ist auch das seiner Filmfigur Jaakko. Der 1975 geborene Poikolainen erhielt 2013 die MS-Diagnose. Als Folge der Krankheit erblindete er. In «The Blind Man» spielt er zum ersten Mal eine Hauptrolle. Eine herausragende Leistung.
The Blind Man Who Did Not Want To See Titanic
Regie: Teemu Nikki
FIN 2021, 82 Minuten
Ab Do, 13.7., im Kino