Die junge Livia glaubt nicht mehr, dass ihr das Lateinbüffeln im späteren Leben nützlich sein wird. Ihre Mutter Margherita ist anderer Meinung und setzt zu einer fulminanten Verteidigungsrede an. Als sie sich in der Argumentation verheddert und Livia gesteht, sie selbst habe ihr Latein vergessen, lacht sie mit ihrer Tochter und ist ihr nahe wie selten.
Livia hält sich ansonsten eher an Grossmutter Ada. Die pensionierte Lateinlehrerin (!) hat stets ein offenes Ohr und steht trotz Alter und Krankheit mitten im Leben. Ganz anders Margherita: Die engagierte Regisseurin will mit ihren Filmen «die Realität interpretieren», wie sie ihrer Crew, den Schauspielern und den Medien unermüdlich vorbetet. Im wirklichen Leben aber driftet sie Richtung Überlastung, Verbitterung und Burnout. Die Realität kommt ihr buchstäblich abhanden, sie verliert sich in Tagträumen und Visionen.
Hinzu kommen alltägliche Herausforderungen: die Trennung von ihrem Geliebten, die Unfähigkeit ihres aus den USA eingeflogenen Hauptdarstellers Barry Huggins (wunderbar schräg: John Turturro) sowie die schwere Erkrankung ihrer Mutter. Im letzten Fall kann sie zwar auf die Hilfe ihres Bruders Giovanni (Nanni Moretti) zählen, doch auch dessen Kräfte erweisen sich als begrenzt.
Es wird klar: Nicht nur die pubertierende Livia (Beatrice Mancini) ist am Ende des Lateins. Auch Margherita, Giovanni, selbst der schräge Barry wissen nicht weiter in ihrem Leben. Am vitalsten wirkt Grossmutter Ada, die vom Spitalbett aus Ratschläge erteilt, Witze reisst und damit allen Kraft verleiht.
Finale Fragen
Ins Zentrum seines neuen Films stellt Nanni Moretti Margherita (herausragend: Margherita Buy). Als sein unverkennbares Alter Ego stellt sie sich grundlegende Fragen zum Filmemachen, zu Sinn und Aufgabe des Kinos, zum Verhältnis von Realität und Fiktion. «Jede Geschichte ist autobiografisch», lautet Morettis lakonischer Kommentar dazu. Der im Südtirol geborene Römer ist 62 und damit in einem Alter, in dem man sich finale Fragen stellt. Doch Moretti bleibt auch der schräge Vogel des italienischen Autorenfilms. Seine Ironie ist zart und kippt zuweilen ins Skurrile. Seine Dramaturgie ist vermeintlich offenkundig, doch es tun sich Fallgruben für das Publikum auf.
So gibt die Dreiecks-Konstellation von Livia, Margherita und Ada dem Filmtitel «Mia madre» eine Doppelbödigkeit, wie sie Moretti liebt. Und die von ihm selbst gespielte Figur Giovanni erinnert an all die «Nannis» in seinen Filmen: von «Caro Diario», als er mit der Vespa durch Rom fuhr, bis zu «Habemus Papam», wo er den Psychoanalytiker des neugewählten Papstes spielte.
«Mia madre» ist keine leichte Kost, versprüht aber Morettis italienische Poesie, die in ihrer Magie, Versponnenheit und Selbstironie zuweilen an Federico Fellini erinnert.
Mia madre
Regie: Nanni Moretti
Ab Do, 17.12., im Kino