Am 15. Januar 2000 sass eine Gruppe von Männern in der Lobby des Belgrader Hotels Intercontinental. Am späten Nachmittag trat der ehemalige Polizist Dobrosav Gavric auf sie zu, zog ein Gewehr unter dem Mantel hervor und schoss. «Das war das glanzlose Ende eines der berüchtigtsten Verbrecherbosse von Belgrad. Er hiess Arkan.» Mit diesen Worten schildert der britische Journalist Misha Glenny eine der unzähligen Gewalttaten, die sich in den letzten Jahrzehnten in Europa zutrugen. Glenny fasste seine jahrelangen Recherchen in dem Buch «McMafia» zusammen. Die BBC verwertete den Stoff in einer gleichnamigen, hervorragenden Serie, die Amazon auf seiner TV-Plattform anbietet.
An der Schaltstelle von Staat und Untergrund
Glennys Grundthese leuchtet ein: «Der Zusammenbruch der Sowjetunion war die wichtigste einzelne Ursache für das exponentielle Wachstum des organisierten Verbrechens, das wir auf der ganzen Welt beobachten mussten.» Dabei erweitert Glenny im Buch den Fokus weg von Europa in den Nahen Osten, nach Indien und Afrika. Die aufkommende Cyberkriminalität beschleunigte zudem eine Entwicklung, die in den 1990er-Jahren einsetzte, als in Osteuropa ein Machtvakuum herrschte, das die politischen Verantwortungsträger fatal unterschätzten.
Der Clanführer Zeliko Raznatovic oder Arkan war gemäss Glennys Recherche geradezu beispielhaft für das organisierte Verbrechen, das auf Verbindungen zwischen staatlichen Stellen und kriminellen Organisation beruhte. Arkan kam vor dem Zusammenbruch von Tito-Jugoslawien als Emigrant nach Deutschland, begann dort eine Laufbahn als Berufskrimineller. Nach Haftstrafen kehrte er nach Serbien zurück und fand dort eine Beschäftigung beim Inlandgeheimdienst – als Schalthebel zwischen der Unterwelt und korrupten staatlichen Stellen, die ihm zu einer grandiosen Laufbahn verhalfen. Er verkrachte sich mit Staatschef Milosevic, fand aber einen Fürsprecher in Dindic, dem politischen Liebling des Westens, der 2003 ermordet wurde. Dindic galt als eine demokratische Lichtfigur, was belegt, wie widersprüchlich sich die Verhältnisse im ehemaligen Jugoslawien entwickelten.
Die BBC erkannte die Brisanz dieser Recherchen, die zum Teil bereits vor zehn Jahren veröffentlicht wurden. Sie drehte eine achtteilige Serie mit dem Alex Goodman (James Norton) in der Hauptrolle. Er entstammt einem Mafia-Clan, will aber mit den Geschäften seines Vaters nichts zu tun haben – vergeblich.
Wie aktuell die Befunde von Glenny heute noch sind, belegen die jüngsten Ereignisse. Der Mord an einem Enthüllungsjournalisten und dessen Freundin in der Slowakei ist anscheinend auf Verknüpfungen politischer Akteure mit der kalabresischen Ndrangheta zurückzuführen. Die slowakische Zivilgesellschaft protestierte mit Demonstrationen, die zum Rücktritt von Ministerpräsident Robert Fico führten.
BBC-Serie
https://www.amazon.de/McMafia-Staffel-1/dp/B078NX4L2L
Buch
Misha Glenny
McMafia
598 Seiten
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
(Klett Cotta 2018)