Nomen est omen: Lucky heisst nicht nur so, er ist es auch. Mit 90 stapft er täglich strammen Schrittes durch das Städtchen, macht seine Besorgungen, grüsst alle, und alle grüssen ihn. Im Diners bekommt er den «perfekten Kaffee», im Laden reicht ihm die Verkäuferin die Milch mit einem Lächeln, in der Bar Elaine’s lauschen am Abend alle seinen kurligen Geschichten. Ja, Lucky hat Glück und ist auf seine Art glücklich.
In seinem Spielfilm-Erstling zeichnet US-Schauspieler John Carroll Lynch (54) in wunderbaren Tableaus den Alltag dieses Seniors, der alleine seinen Lebensabend verbringt. Sein Holzhaus steht am Rand eines Kaffs im Südwesten der USA. Er hat sein Leben im Griff, macht jeden Morgen Yoga-Übungen zu mexikanischer Mariachi-Musik, löst stapelweise Kreuzworträtsel und schaut Game-Shows am Fernsehen. «Realismus ist ein Ding», erklärt er eines Abends seine Erkenntnis des Tages. Gefunden hat er diese Definition im Lexikon, als er nach einem fehlenden Wort im Kreuzworträtsel suchte.
Harry Dean Stanton glänzt als wortkarger Sonderling
Eines Morgens holt ihn die Realität ein. Vor der Kaffeemaschine in seiner Küche kippt er um, taucht plötzlich weg, liegt fluchend am Boden. Sein Arzt diagnostiziert nach eingängiger Untersuchung: «That’s it.» Und meint damit zum einen, dass Lucky unverletzt sei und erstaunlich gesund. Zum anderen und auf Luckys Nachfrage macht der Doc ihm klar: «Du bist alt und irgendwann tot.»
Dieser Satz geht nicht spurlos an Lucky vorbei. «Ich habe Angst», gesteht er der Diners-Kellnerin, die sich nach seinem Wohlergehen erkundigt. Der bis anhin zwar etwas schrullige, aber liebenswerte Alte erscheint der Dorfgemeinschaft plötzlich traurig, nervös, und abends in der Bar wird er sogar aggressiv.
Nach verschiedenen Begegnungen und Gesprächen beruhigt er sich, da es anderen offenbar weit schlechter geht als ihm. Freund Howard (David Lynch) ist untröstlich, weil er seit Tagen seine Schildkröte namens Präsident Roosevelt vermisst. Der Zufallsbekannte Fred (Tom Serritt) träumt nach Jahrzehnten noch jede Nacht vom Krieg. So kommt Lucky zum Schluss: «Auch Wahrheit ist ein Ding.»
John Carroll Lynch ist mit «Lucky» ein Meisterwerk gelungen, das in seiner skurrilen Lakonie an Filme wie Jim Jarmushs «Paterson» oder Wim Wenders’ «Paris, Texas» erinnert. Schon dort glänzte Harry Dean Stanton als wortkarger Sonderling. «Lucky» nun ist Stanton, der zeitlebens fast nur Nebenrollen spielte, auf den Leib geschrieben. Sein Cowboy-Gang und seine zuweilen skurrilen Monologe scheinen ebenso unaufgesetzt wie sein treuherziger Blick und seine Alt-Männer-Gesten. Er scheint gar nicht schauspielern zu müssen.
Ein letztes Lächeln für die Filmgeschichte
Am Schluss fragen ihn seine Beizen-Kumpels, wie er denn auf die finale «Wahrheit», nämlich der Endlichkeit allen Seins reagieren wolle. «Mit einem Lächeln», sagt er und schenkt dieses in der letzten Einstellung in freier Natur der ihn umgebenden Wahrheit. Stantons Lächeln wird in die Filmgeschichte eingehen. Denn es war sein letzter Auftritt; im September starb der grosse stille Mann des US-Kinos 91-jährig in Los Angeles.
Lucky
Regie: John Carroll Lynch
Ab Do, 18.1., im Kino