1933. Ein junger Germanist steht in Göttingen vor der Tür der 72-jährigen Lou Andreas-Salomé (Nicole Heesters). Er gibt vor, für einen Freund mit Eheproblemen und Schreibblockade vorzusprechen. Eine Psychoanalyse? «Ich praktiziere mindestens seit gestern nicht mehr», wimmelt sie ab. Denn Psychoanalyse gilt den Nazis als jüdische Wissenschaft. Der junge Mann mit Namen Ernst Pfeiffer wird wiederkommen. Er soll helfen, ihre Lebenserinnerungen niederzuschreiben.
Lebendige Postkarten
Vom Jahr 1933 mit der alten und kranken Lou (sie stirbt vier Jahre später) geht es im Film immer wieder zurück, in Rückblenden werden ihre Lebensstationen aufgeblättert. Schön die Idee, sie jeweils als lebendige Postkarten einzuführen.
Louise von Salomé wird 1861 in St. Petersburg in eine begüterte Familie hineingeboren. Louise ist ein widerspenstiges Kind, hinterfragt, stellt infrage und opponiert. Gerne klettert sie auf Bäume. Als Teenager schwört sie, sich niemals zu verlieben.
1881 besucht sie die Universität in Zürich, um Philosophie und Theologie zu studieren; einer der ganz wenigen Orte, wo Frauen zum Studium zugelassen sind. Die kränkelnde junge Frau (Katharina Lorenz spielt die Figur als 21- bis 50-Jährige) zieht mit ihrer Mutter weiter nach Rom. Hier trifft sie die Philosophen Paul Rée und Friedrich Nietzsche. Beide verehren und lieben die junge, gescheite und hochgebildete Lou. Sie will aber nichts wissen von Liebe und Heirat. Für eine Art platonische wilde Ehe inklusive Wohngemeinschaft ist sie sehr wohl zu haben.
Nietzsche und Rilke
Der Film stellt unter anderem nach, was sich 1882 in Luzern zuträgt. Lou, Rée und Nietzsche lassen sich im Atelier von Jules Bonnet fotografieren. Nietzsche arrangiert das Bildsujet mit einem Handkarren, sie kniet mit Peitsche darin. Nietzsche: «Wir zwei vor ihren philosophischen Karren gespannt.»
Nach der Trennung von Rée und Nietzsche geht Lou eine Scheinehe mit dem Orientalisten Friedrich Carl Andreas ein. Und es kommt doch so weit: Ein gewisser René Rainer Rilke, dem Lou empfiehlt, den Vornamen in Rainer zu ändern – er wird der allererste richtige Liebhaber. Aber: «Du kannst ohne mich nicht atmen, und ich kann mit dir nicht atmen.» Im Alter wird Lou bekennen: «Ich habe alle Männer, die mich geliebt haben, unglücklich gemacht.»
Eigensinnige Pionierin
Die Ausnahmeintellektuelle war «Feministin», die auf ihre individuelle Selbstbestimmung pochte. Gesellschaftlich oder gar politisch wirkte sie zeitlebens nicht. Bleiben werden ihre Leistungen als Philosophin, Schriftstellerin und Psychoanalytikerin, als Pionierin für eine eigensinnigeigenständige Lebenshaltung, wider die Konventionen, ohne Kompromisse, frei und unabhängig.
Die Berliner Regisseurin und Drehbuchautorin Cordula Kablitz-Post vertraut bei ihrem Spielfilmdebüt dem eher konventionellen Erzählmuster von Lebensbeschreibung in Rückblenden. Es wird eine überaus lebendige Biografie daraus, die auf formidable Schauspielleistungen baut.
Lou Andreas-Salomé
Regie: Cordula Kablitz-Post
Ab Do, 8.9., im Kino