«Google schreibt sich mit ‹o›. Das ist englisch.» Geduldig wird es vor dem Computermonitor erklärt. Vorher fand eine Präsentation mit Beamer statt. Thema: Online-Banking. Es ist eine Schulsituation mit umgekehrten Vorzeichen: Nicht eine Lehrperson lehrt hier, sondern Schülerinnen, die für eine Gruppe von Senioren einen Computerkurs durchführen.
«Cörisoce» und «Pulle Geschnetzeltes»
Es ist alles etwas anders an der Schule im Walliser Bergdorf Bratsch. Seit 2016 gibt es sie, auf Privatinitiative des Pädagogen Damian Gsponer. Seine Idee eines von der Norm abweichenden Schulmodells brauchte einen Ort, «wo wir die Idee leben können ». Im leer stehenden Dorfschulhaus hat er ihn gefunden. Die Schule verzichtet auf Noten und Fächer, Leistungsdruck kennt man hier nicht. Der «Lehrweg» führt, anders als üblich, immer von der Praxis in die Theorie.
Ein Beispiel ist der Bau eines Hühnerstalls. Dazu braucht es unter anderem Material und Arithmetik. Der Film zeigt eine Sitzung, bei der die Schüler mit Behördenvertretern Probleme wegen Baueinsprachen erörtern und Lösungen suchen, die den Hühnerstall doch noch möglich machen. Köstlich ist die Szene der Arbeitsgruppe mit zwei Primarschülern, die den Speiseplan für das Schullager ausarbeiten sollen. Wie viele Teller, wie viel Fleisch braucht es? Eine Friteuse soll unbedingt mitgeschleppt werden, ebenso ein Grill.
Auf dem Einkaufszettel finden sich unter anderem «Cörisoce» und «Pulle Geschnetzeltes». Was die anderen davon halten, wird im Plenum diskutiert, es gibt Zustimmung und Ablehnung. Bereits 100 Kinder stehen auf der Warteliste Die Schülerinnen und Schüler kommen alle – noch – von auswärts. Als die Schule startete, zählte man in Bratsch ein einziges Kind im schulfähigen Alter. Jetzt fahren täglich 80 mit dem Bus ins Dorf hinauf. Gestartet wurde mit 17 Kindern. Inzwischen finden sich 100 auf einer Warteliste.
Eine Hoffnung ist, dass nicht zuletzt wegen der Schule Familien nach Bratsch ziehen und so der drohenden Entvölkerung entgegengewirkt werden kann. Der Berner Filmemacher Norbert Wiedmer («Mitten im Land», «Behind Me – Bruno Ganz») hat das aussergewöhnliche und erfolgreiche Schulprojekt in einer Langzeitbeobachtung von Anfang an bis ins Jahr 2022 begleitet. Sein Film taucht in den Alltag des Schullebens ein und konzentriert sich dabei auf fünf Schülerinnen und Schüler.
Einer von ihnen, nach seinem Highlight in sechs Jahren gefragt, gibt offen zu: Dies werde wohl der letzte Schultag sein. «Bratsch» bietet eine Reihe von lehrreichen Anregungen und unterhält mit etlichen humorvollen Szenen. Ein Film für Lehrpersonen – und für alle Menschen, die einmal in die Schule gingen.
Bratsch – Ein Dorf macht Schule
Regie: Norbert Wiedmer
CH 2023, 91 Minuten
Ab Do, 26.1., im Kino