Film: Leben, lieben, sterben
Im neuseeländischen Film «Juniper» bietet Altstar Charlotte Rampling ein darstellerisches Glanzstück als alkoholkranke Grossmutter, die es doch einmal zu ihrer Familie zieht.
Inhalt
Kulturtipp 19/2022
Urs Hangartner
Die Britin Charlotte Rampling gehört zur seltenen Spezies in der Schauspielkunst, die sich souverän in mehr als einer Sprache vor der Kamera ausdrücken kann. Die 1946 im englischen Essex geborene Rampling ging in eine französische Schule und lebt seit Anfang der 1970er-Jahre in Frankreich. Im Film «Juniper» ist Rampling in ihrer englischen Muttersprache zu erleben. In dieser neuseeländischen Produktion spielt die 76-Jährige die Grossmutter Ruth. Diese...
Die Britin Charlotte Rampling gehört zur seltenen Spezies in der Schauspielkunst, die sich souverän in mehr als einer Sprache vor der Kamera ausdrücken kann. Die 1946 im englischen Essex geborene Rampling ging in eine französische Schule und lebt seit Anfang der 1970er-Jahre in Frankreich. Im Film «Juniper» ist Rampling in ihrer englischen Muttersprache zu erleben. In dieser neuseeländischen Produktion spielt die 76-Jährige die Grossmutter Ruth. Diese hat sich das Bein gebrochen und kommt von England angereist, um sich bei ihrem Sohn Robert auf dessen ehemaliger Pferdefarm zu erholen. Sie ist auf Pflege angewiesen. Robert (Márton Csókás) holt seinen Sohn Sam (George Ferrier) aus dem Internat, damit dieser die Pflegerin Sarah entlasten kann. Der 17-Jährige kannte seine Grossmutter bisher nicht. Er erfährt, dass sie einst als Kriegsfotografin arbeitete. Welche Kriege das denn waren, fragt er: «Fast alle. Allesamt eine sinnlose Verschwendung.»
Aggressiv, griesgrämig und beleidigend
Zumindest anfangs ist Ruth ein Biest. Vater und Sohn sind sich einig: Sie ist «eine alte Hexe». Denn sie ist nicht nur aggressiv, griesgrämig und beleidigend, sondern auch eine Schweralkoholikerin. Tagesration: eine Flasche Gin. Sam kämpft derweil mit seinen eigenen Problemen: Er hat sich einen Termin im Kalender rot angestrichen und den Strick am Baum beim Waldrand schon platziert ... Dass er seine geliebte Mutter beim Sterben im Stich gelassen hat, ist der Grund für seine Todessehnsucht. Das Verhältnis zwischen Sam und Ruth verbessert sich jedoch zusehends, wird gar innig. In Roberts Abwesenheit feiern sie als Belohnung fürs Aufräumen des verwilderten Gartens eine Party mit seinen Kumpels. Ruth offeriert Alkohol, macht selber munter mit. Sie beteiligt sich am Kiffen der Jungen mit dem Befund: «Ich hatte schon Besseres.»
Regisseur Saville schöpft aus dem eigenen Leben
Am nächsten Morgen muss Sam seine Grossmutter ins Spital bringen lassen. Doch Ruth will unbedingt zurück zu Sohn und Enkel. Und Sam wacht an ihrem Bett – er will nicht denselben Fehler machen wie bei seiner Mutter. Gemeinsam gehen Ruth, Sam, Robert und Pflegerin Sarah auf den Hügel mit der exklusiven Sonnenaufgangsstimmung. Dann ein letzter Schluck. Matthew J. Saville schöpft für seinen Film aus eigenem Erleben. Auch er hatte eine Grossmutter, die Alkoholikerin war. Für Saville behandelt der Film universelle Themen der menschlichen Existenz: «Leben, Liebe, Tod, Trauer, Scham und unsere eigene Sterblichkeit. » Aus seinem Stoff hat er eine Geschichte mit ergreifenden Szenen gemacht. Ein trauriger «Familienfilm » ganz ohne Sentimentalitäten. Und ein darstellerisches Glanzstück von Charlotte Rampling. Der englische Filmtitel «Juniper » bedeutet übrigens «Wacholder ». Daraus wird Gin gemacht.
Juniper
Regie: Matthew J. Saville
NZL 2021, 94 Minuten
Ab Do, 15.9., im Kino