«Nach Paris – die können da nicht mal Englisch!» Vater Anthony (Anthony Hopkins) sagt es zu seiner Tochter Anne (Olivia Colman), die ihm eröffnet, sie werde von London wegziehen, nach Frankreich. Die Konsequenz wäre, dass er in ein Heim müsste. Denn der 80-jährige Anthony hat Alzheimer. Er kennt durchaus lichte Momente, kann charmant sein, scharwenzeln, flunkern. Aber auch sich unmöglich benehmen, grantig werden, eine Pflegerin beschimpfen. Oder misstrauisch seine Umgebung beäugen, wiederholt argwöhnen, wer ihm da seine Uhr gestohlen haben mag. Er, der als Ingenieur gearbeitet hat, behauptet gegenüber der neuen Pflegerin, beruflich im Zirkus gewesen zu sein oder Tänzer in jüngeren Jahren.
Anthony verliert zusehends sein Gedächtnis. Und damit sich selbst. Er lebt ein desorientiertes Leben, droht sich abhanden zu kommen, er kann letztlich nicht mehr begreifen, was und wie ihm geschieht. Das sind die traurigen Tatsachen seiner dementen Existenz.
Die grosse Irritation dieser Krankheitslage übernimmt der Film in der Darstellung selber: Figuren wechseln ihre Identitäten, Zeiten purzeln durcheinander, sogar die Wohnung ändert ihr Aussehen – oder sind es zwei verschiedene? Die Gewissheiten lösen sich mehr und mehr auf, was widerspiegelt, wie es um Anthonys Persönlichkeit steht. Verunsicherung stellt sich auch beim Zuschauen ein, wenn man sich fragt: Wer ist wer? Wann war was? Wo befindet man sich gerade?
Der grosse Menschendarsteller
Der 1979 geborene französische Autor Florian Zeller hat mit seinem Theaterstück «Le Père» (2012) bereits für Furore gesorgt. Für sein Regiedebüt hat er den Text nun für den Film eingerichtet, als Kammerspiel mit starken Auftritten, allen voran jenen von Anthony Hopkins. Für ihn gab es verdientermassen den Oscar. Als grosser Menschendarsteller braucht er nicht zu übertreiben oder sein Können herauszustellen. Er spielt, und das ist seine grosse Kunst, ganz natürlich.
The Father
Regie: Florian Zeller
USA 2020, 97 Minuten
Ab Do, 24.6., im Kino