Andalusien, eine gute Stunde von Sevilla entfernt, September 1980. Das Land befindet sich in der sogenannten «demokratischen Übergangszeit». Die alte Ordnung gilt nicht mehr, das neue System ist noch nicht bei allen restlos angekommen. Die Nachwehen der Franco-Ära sind spürbar, das Ende der gut vier Jahrzehnte dauernden faschistischen Diktatur ist erst fünf Jahre her.
So historisch-politisch unterfüttert ist der Thriller von Regisseur Alberto Rodríguez. Er spielt in dieser Zwischenzeit. Geografisch entspricht der Schauplatz der gottvergessenen Gegend des Marschlandes um Andalusiens längstem Fluss Guadalquivir. Gedreht wurde unter anderem in den beiden Nationalpärken Donaña und Las Cabezas de San Juan. Hier siedelt der 1971 in Sevilla geborene Alberto Rodríguez seinen Film an.
Wer hier lebt, verdingt sich in der Landwirtschaft. Obwohl: Die Arbeiter des Grossgrundbesitzers befinden sich unmittelbar vor der Reisernte im Streik. Andere beschäftigen sich mit Fischerei. Wiederum andere mit Drogenschmuggel. Von den Jungen wollen eigentlich alle nur eines: weg von hier.
Ein ungleiches Paar
Luftaufnahmen zeigen eine faszinierende, vogelreiche Landschaft, die von zahlreichen Wasseradern durchzogen ist. Wenig idyllisch dagegen, was unten geschieht. Zwei Polizisten aus Madrid sind in die Provinz geschickt worden, um in einem doppelten Vermisstenfall zu ermitteln. Zwei junge Mädchen sind verschwunden. Man findet sie schliesslich, tot, mit Folterspuren, Verbrennungen, Schnitt- und Stichwunden, geschändet. Ein Serienmörder treibt sein Unwesen.
Es ermittelt ein ungleiches Paar, Abbild auch der gesellschaftlichen Wirklichkeit Spaniens in jener Zeit: Pedro (Raùl Arévalo) verkörpert die junge Generation, die an die Zukunft eines demokratischen Aufbruchs glaubt. Sein Polizistenpartner Juan (Javier Gutiérrez) ist Angehöriger der alten Schule. Er muss lernen, dass die Zeiten sich geändert haben. Juan soll unter dem Spitznamen «Die Krähe» zu Francos gefürchteter «Gestapo» (so wörtlich) gehört und zahlreiche Menschen auf dem Gewissen haben.
Pedro und Juan steigen in einem schäbigen Hotel ab. An der Zimmerwand hängt ein Kruzifix mit Franco- und Hitler-Porträts. Die Menschen in der kleinen Stadt und auf dem Land erweisen sich als verschlossen bis verstockt-schweigsam. Pedro und Juan verfolgen ihre Spuren hartnäckig, bis am Ende die Wahrheit an den Tag kommt: «Wir sind gut, nicht wahr», sind Juans Schlussworte.
«La isla minima» ist ein ländlicher Thriller von ungemein dichter Atmosphäre, in dem ein Stück spanische Geschichte und Politik mit erzählt wird. Und natürlich lebt der Film von seiner einzigartigen Landschaft, in dem Grauenhaftes geschieht.
Spanien hatte es verpasst, den Film für eine Nominierung für den Ausland-Oscar auszuwählen. Dafür hagelte es einheimische Preise: Er holte sich im Februar bei der Verleihung des spanischen Filmpreises «Goya» insgesamt zehn Auszeichnungen, unter anderem für den besten Film, die beste Regie und das beste Drehbuch.
La isla minima
Regie: Alberto Rodríguez
Ab Do, 6.8., im Kino