Film - Kunst als Politprotest
Der Dokumentarfilm «Ai Weiwei: Never Sorry» ist beides in einem: Künstlerporträt und ein Stück aktuelle Zeitgeschichte. Er zeigt Ai Weiweis Arbeit und Privatleben und sein politisches Denken und Handeln.
Inhalt
Kulturtipp 19/2012
Urs Hangartner
Eine flächendeckende Installation mit 9000 farbigen Schulrucksäcken an der Fassade des Hauses der Kunst in München. Im bunten dreidimensionalen Bild dieser Installation ist ein chinesischer Schriftzug zu erkennen, der übersetzt bedeutet: «Sie lebten sieben Jahre glücklich auf dieser Welt.» Ai Weiwei nimmt mit dieser Arbeit aus dem Jahr 2009 Bezug auf das verheerende Erdbeben in der chinesischen Provinz Sechuan: Tausende von Kindern starben in den Tr&u...
Eine flächendeckende Installation mit 9000 farbigen Schulrucksäcken an der Fassade des Hauses der Kunst in München. Im bunten dreidimensionalen Bild dieser Installation ist ein chinesischer Schriftzug zu erkennen, der übersetzt bedeutet: «Sie lebten sieben Jahre glücklich auf dieser Welt.» Ai Weiwei nimmt mit dieser Arbeit aus dem Jahr 2009 Bezug auf das verheerende Erdbeben in der chinesischen Provinz Sechuan: Tausende von Kindern starben in den Trümmern der Schulhäuser, weil diese schludrig gebaut waren. Ai Weiwei wandelt seine Erschütterung öffentlich um in Form von Kunst.
100 Millionen Samen
Vor zwei Jahren die Arbeit «Sunflower Seeds»: Ai Weiwei bedeckt den Boden der Turbinenhalle in der Tate Gallery of Modern Art in London mit 100 Millionen Sonnenblumenkernen. Sie sind aus Porzellan gefertigt und handbemalt. Damit spielt der Künstler auf den maoistischen Personenkult an. In diesem Verständnis galt der Grosse Vorsitzende Mao als strahlende Sonne, das chinesische Volk war ein Heer von Sonnenblumen.
Das sind zwei typische Beispiele für das künstlerische Schaffen von Ai Weiwei. Der Film dokumentiert die Hintergründe dazu, zeigt, wie der chinesische Oppositionelle seine Ideen entwickelt und umsetzt. Der Künstler kommentiert politische Missstände mit seiner Kunst. Oder er tut im Internet als Blogger seine Meinung kund. Das kommunistische Regime liess Ai Weiwei inhaftieren und seinen Blog sperren. Sein grosszügiger Atelierkomplex wurde dem Erdboden gleichgemacht.
Als eigentlichen Künstler sieht sich Ai Weiwei übrigens nicht, wie im Film zu erfahren ist. «Ich bin kaum in die Herstellung meiner Werke involviert», sagt er einmal, «ich bin vor allem Ideengeber.» Er sehe sich «eher als eine Art Schachspieler». Der Film gibt anschauliche Einblicke in sein künstlerisches Schaffen. Er lässt Weggefährten zu Wort kommen, findet auch zu privater Nähe; etwa im Gespräch zwischen Ai Weiwei und seiner Mutter sowie den Begegnungen des Künstlers mit seinem kleinen Sohn.
Vor der Kamera äussert sich Ai Weiwei gewohnt pointiert. Er spricht Klartext in Sätzen wie: «Es gibt keinen schöneren Sport, als Steine nach Diktaturen zu werfen.» Er meint das im übertragenen Sinn, um seine Blog-Aktivitäten zu erläutern. Oder: «Ich will nicht Teil dieser Realitätsverleugnung sein.»
Die Dokumentarfilmerin Alison Klayman begleitete den chinesischen Künstler über drei Jahre lang. Die Chronologie endet im Frühling 2011: Ai Weiwei wird aus der Haft entlassen und muss sich in Hausarrest begeben. Das Letzte, was er in die Kamera sagt, ist, dass er nichts sagen dürfe. Der «Fall Ai Weiwei» ist über den Film hinaus mit Hintergrundmaterialien und aktuellen Infos im Netz dokumentiert unter www.aiweiwei-neversorry.de.