Bei der Goldküsten-Familie Wegmeister-Gloor liegt einiges im Argen: «Alles wird dir auf dem silbernen Tablett serviert», schnauzt Sophie (Birgit Minichmayr) ihren Bruder Gregi (Jacob Matschenz) an, dessen Ingenieurstitel gekauft wurde. Nun soll er die Firma des Vaters übernehmen – obwohl er eigentlich lieber ausgestopfte Vögel sammeln würde. «Frustrierte Henne», gibt er seiner Schwester postwendend zurück. Ein bisschen Wärme in die Villa am Zürichsee bringt nur die polnische Pflegerin Wanda (Agnieszka Grochowska), die den 70-jährigen, bettlägerigen Patriarchen Josef (André Jung) nach seinem Schlaganfall umsorgt und nebenbei für viel zu wenig Geld den Haushalt schmeisst.
Ausbeutung von Pflegekräften
«Wanda, mein Wunder», nennt Josef sie – und will gegen ein Tausender-Nötli auch mal eine sexuelle Gefälligkeit. Sie geht darauf ein, weil sie daheim in Polen für ihre Eltern und zwei Buben aufkommen muss. Es ist eine beklemmende Szene im Film, als Wanda sich routinemässig und wortlos auf diese Abmachung einlässt. Die Ausbeutung von billigen Pflegekräften aus dem Osten ist Bettina Oberlis Thema in ihrem neuen Film «Wanda, mein Wunder». Dennoch wird Wanda nicht als Opfer dargestellt, sondern als selbstbewusste Frau, die sich durchaus wehren kann, wenn es drauf ankommt. Bettina Oberli durchbricht die Tragik auch immer wieder mit Humor. So hält etwa eine Kuh im Garten die Familie auf Trab – der Hausherr hatte sie in einer rasch zusammengeschusterten Notlüge als Ausrede benutzt, als er der Familie erklären sollte, woher Wandas Tausender-Note stammt …
Als Wanda allerdings von ihm schwanger wird, hängt der Haussegen endgültig schief. Der 70-Jährige selbst wird zwar plötzlich wieder fit und munter, als er von seiner Vaterschaft erfährt, aber seine Gattin Elsa (Marthe Keller) reagiert rabiat … Während der Schwiegersohn (Anatole Taubman) um das Familienerbe fürchtet und versucht, alles mit Geld zu regeln, betrinken sich die betrogene Elsa und ihre unfreiwillig kinderlos gebliebene Tochter Sophie. Die Einzige, die einen kühlen Kopf behält, ist Wanda – auch dann noch, als plötzlich ihre Familie aus Polen auftaucht und für zusätzlichen Trubel in der Villa sorgt.
Starke Frauen behalten die Oberhand
Bettina Oberli zeigt die wohlhabende Familie, die ihrer tüchtigen Pflegekraft nicht auf Augenhöhe begegnen kann, in ihrer ganzen Arroganz, aber auch Verletzlichkeit. Die Situation von Wanda wiederum ist prekär, und dennoch ist sie auch eine Figur mit Handlungsspielraum. «Mir steckte die ganze Zeit der Satz von Max Frisch im Kopf: ‹Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.› Darüber wollte ich eine Geschichte erzählen», sagte die Regisseurin in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag». Es gelingt ihr in ihrem Film, der im zürcherischen Stäfa gedreht wurde, dass sich Tragik und Komik die Waage halten. Und auch die bissigen Dialoge und das sorgfältig zusammengestellte Schauspielensemble überzeugen in dieser Geschichte, in der am Schluss die starken Frauen die Oberhand haben und doch noch etwas Solidarität spürbar wird.
Wanda, mein Wunder
Ab Do, 3.6., im Kino