Die beiden sind ein erfrischendes Duo: 55 Lebensjahre trennen sie, sie zoffen sich und lachen zusammen. Er strotzt vor Übermut, sie strahlt die Gelassenheit des Alters aus. Gemeinsam ist ihnen die Lebenslust und sprühende Kreativität. Im oscarnominierten Dokumentarfilm «Visages Villages» tüfteln die 89-jährige belgische Nouvelle-Vague-Legende Agnès Varda und der 34-jährige französische Street-Art-Künstler JR gemeinsame Ideen aus.
In einem rollenden Fotoautomaten zieht das Duo von der Normandie bis in die Provence. Aus ihren Begegnungen mit Menschen schaffen sie vergängliche Fotokunst – an Hausfassaden, Mauern, Zügen oder Schiffscontainern. «Der Zufall war immer mein bester Assistent», sagt Agnès Varda. So lassen sich die beiden treiben und gehen unvoreingenommen auf Menschen zu.
In der Welt der kleinen Leute
In einer ehemaligen Bergarbeitersiedlung treffen sie etwa auf eine alte Dame, die als einzige noch in dieser Strasse lebt. Jeanine erzählt von ihren Erinnerungen an den Vater, der in den Minen schuftete, und lässt sich im Fotomobil ablichten.
Das Duo kleistert eine überlebensgrosse Reproduktion dieses Fotos an die Fassade der abbruchreifen Häuser – zusammen mit vergrösserten historischen Aufnahmen von Minenarbeitern. Die Einwohner, viele davon ehemalige Grubenjungen, verfolgen die Arbeiten mit Spannung und erzählen von ihren eigenen Erfahrungen.
Die zwei Künstler bilden in ihren berührenden Porträts die Welt der kleinen Leute ab und legen ihr Augenmerk oft auf Menschen, die gegen den Strom der Zeit schwimmen oder Widerstand zeigen.
«Gibt es dahinter einen Sinn?», fragt ein Arbeiter, als er schmunzelnd die neu gestaltete Fassade betrachtet. «Der Sinn ist die Macht der Vorstellungskraft», antwortet ihm Varda.
Das beschwingte und verspielte Roadmovie lädt ein zu einer fantasievollen Reise. Und es eröffnet einen Einblick in andere Lebenswelten genauso wie in die künstlerische Arbeit von Agnès Varda und JR.
Visages Villages
Regie: Agnès Varda, JR
Ab Do, 31.5., im Kino