Der Malstab, auf dem der Künstler seine pinselführende Hand abstützt, war bei Albert Anker (1831–1910) aus heimischem Haselnussholz statt wie üblich aus Bambus. Wenn einer brach, dann entsorgte Anker den Stab nicht. Er bastelte daraus Puppen für die Kinder, die er oft porträtierte. Die Puppen sollten die Kinder beim Modellsitzen beschäftigen.
Diese «Recycling»-Geschichte erzählt Ankers Ururenkel und Nachlassverwalter Matthias Brefin dem Berner Galeristen und Sammler Eberhard W. Kornfeld. Die beiden Männer sind zwei von mehreren Personen im Film. Regisseur Heinz Bütler hat sie auf Erkundungstour geschickt durch das im Originalzustand erhaltene Atelier von Anker.
Im Film kommt der Basler Schriftsteller Alain Claude Sulzer ebenso zu Wort wie die Berner Museumsdirektorin Nina Zimmer. Das Berner Kunstmuseum entstand übrigens 1879 auf Initiative von Albert Anker, der damals Mitglied des Grossen Rates des Kantons Bern war.
Texte und Zeichnungen in 46 «Carnets»
Die Besucherinnen und Besucher des Ateliers fragen angesichts der Bilder und Objekte nach, erläutern oder stöbern in Ankers 1000 Bände umfassender Bibliothek. Der Aargauer Pianist Oliver Schnyder fragt sich, was Albert Anker für Musik gehört haben mochte. Oder: «Hat er überhaupt Musik gehört? »
Falls ja, so Schnyders Vermutung, hätte Edvard Grieg gut zu ihm gepasst. Die Musik des norwegischen Komponisten durchzieht deshalb den Film. Tatsächlich steht im Atelier noch ein altes Klavier. Die Musik zu einem Text über Anker stammt allerdings von Erik Satie. Schnyder spielt sie zu Gedichtzeilen: «… und im Volk hat er gesiegt / da er bezüglich seiner Treue / weit eher glänzt als manches Neue.»
Worte von Robert Walser, gelesen von Endo Anaconda. Der im Februar verstorbene Berner Sänger (Stiller Has) ist so etwas wie eine Leitfigur im Film. Neugierig und mit Leidenschaft kommentiert er Bilder, liest aus Anker-Briefen, macht sich zu Dingen im Atelierraum im bernischen Ins seinen Reim. Beim Anblick von Hanfsamen: «Das ist glaub die Drogenecke!»
Andernorts interpretiert Anaconda vor der Kamera: «Das ist Voodoo! » Texte und Zeichnungen zu Alltäglichem und Aussergewöhnlichem finden sich in insgesamt 46 durchnummerierten «Carnets». Auch hier praktizierte Anker Recycling: Die kleinen Hefte hat er aus Papier- und Stoffresten fabriziert. Für seine Kinder stellte er eigens Leporellos her, die dem Ablauf der Weltgeschichte gewidmet waren.
Albert Anker – «der alte Philosoph»
Beim Gang durch das Atelier begegnet man Fundsachen, eigentlichen Preziosen, man erhält biografische, denkerische und künstlerische Einblicke in Ankers Universum. Am Ende liest Endo Anaconda diese Anker-Zeilen zu dessen Lebensende: «Das wäre fein, wenn ich im Himmel bei Raffael Malstunden haben könnte. Ich bin ein alter Philosoph und möchte gerne mit Gelassenheit sterben.»
Albert Anker – Malstunden bei Raffael
Regie: Heinz Bütler
CH 2022, 90 Minuten
Ab Do, 15.12., im Kino