Drei Jahrzehnte Ehe gehen an einem Paar meist nicht ohne Abnutzungserscheinungen vorüber. Auch bei Grace und Edward, die in einem idyllischen Ort an der Südküste Englands leben, ist die Stimmung angespannt. An kleinen Alltagsreibereien entbrennt ein Streit, der in einer Grundsatzdiskussion mün-det. «Wir reden nicht miteinander», sagt sie. «Du willst etwas, was ich nicht habe», sagt er. Der klassische Konflikt eines langjährigen Paars, der hier allerdings handfest endet. Grace verpasst ihrem Mann eine Ohrfeige, kippt den Frühstückstisch um. Edward zieht sich derweil schweigend zurück.
Dazwischen steht der mittlerweile erwachsene Sohn Jamie, der vom Vater heimbeordert wurde. Jamie soll den Schock abfangen, wenn Edward die Bombe platzen lässt. Denn der einsilbige Ehemann hat sich längst entschieden: Er will seine rechthaberische Gattin verlassen und zu einer anderen Frau ziehen, mit der er sich bereits seit einem Jahr trifft.
Ein Sohn im Loyalitätskonflikt
Die Offenbarung ist für Grace tatsächlich ein unerwarteter Schlag, hatte sie doch stets gedacht, dass sich die Beziehung wieder kitten liesse. Doch Edward lässt nicht mit sich reden und zieht noch am selben Tag mit dem bereits gepackten Koffer aus.
Jamie, im steten Loyalitätskonflikt, soll nun zwischen den Eltern vermitteln, Nachrichten überbringen und Partei ergreifen. Er fühlt sich verantwortlich für seine Mutter, die zwischen Trauer, Wut und Rachsucht schwankt. Er versteht aber auch den Vater, der ein neues, glücklicheres Leben beginnen will.
Der Regisseur William Nicholson erinnert sich mit seinem Film ans Scheitern der Ehe seiner eigenen Eltern. Einfühlsam schildert er den Konflikt, der die ganze Familie erschüttert, aus der Perspektive von Grace, Edward und Jamie. Annette Bening («The Kids Are Alright») und Bill Nighy («Best Exotic Marigold Hotel») spielen das entfremdete Paar bravourös. Einziger Sympathieträger in dieser Geschichte ist jedoch Jamie, der von Josh O’Connor («The Crown») in seiner ganzen Verletzlichkeit dargestellt wird.
Trotz des herausragenden Schauspieltrios vermag das Drama nicht ganz zu überzeugen. Klischeehaft etwa die Konstellation der penetrant streitsüchtigen Ehefrau mit ihrem sprachlosen Mann, der sich gezwungenermassen in die Arme einer anderen flüchtet, um den hohen Erwartungen seiner Gattin zu entgehen. Ebenso konventionell ist die Filmweise: Die Landschaftsaufnahmen zeigen zwar eindrücklich die Schönheit Südenglands, erinnern aber doch etwas zu sehr an Rosamunde-Pilcher-Schmonzetten.
Ein junger Hund ersetzt den untreuen Ehemann
Trotzdem: Der Film überzeugt in der subtilen Darstellung der kleinen Unstimmigkeiten in Beziehungen, die sich mit den Jahren zu erbittertem Streit ausdehnen können. Und er zeigt eindrücklich die Verzweiflung des Sohnes, der im Scheidungskrieg zum Spielball der Eltern wird. Ein paar Tupfer schwarzer Humor lockern das schwere Beziehungsdrama auf: Grace schafft sich einen jungen Hund an, den sie nach ihrem untreuen Gatten Edward nennt – und kommandiert ihn nach Lust und Laune herum.
Hope Gap
Regie: William Nicholson
Ab Do, 25.6., im Kino