Die Sachlage scheint klar. Mit einem Stück von Max Frisch und öffentlichen Kundgebungen mischt sich das Zürcher Schauspielhaus in den Abstimmungskampf zur Armee-Abschaffungs-Initiative der GSoA ein. Ein Fall für die Staatspolizei. Um die «linke Unterwanderung» des Theater-Ensembles zu erkunden, schleust Dienstleiter Hans Marugg einen verdeckten Ermittler ein. So wird aus dem eifrigen Polizisten Viktor Schuler der windige Matrose Walo Hubacher, der sich am Pfauen als Statist bewirbt.
900 000 Fichen von «Andersdenkenden»
Mit seinem neuen Film «Moskau Einfach!» lädt Micha Lewinsky zur Zeitreise ins Zürich von 1989, als die Polizisten Krawatte, Schnauz und Bundfaltenhosen trugen, die Kulturschaffenden offene Hemden und Haare. Als die einen die anderen überwachten und 900 000 Fichen anlegten über sogenannt Andersdenkende. «Die Fronten waren klar», erinnert sich der 1972 geborene Zürcher Filmemacher, der damals ein Teenager war. «Und die Folgen waren für viele tragisch.» Dennoch habe es ihn nicht gereizt, den Fichen-Skandal als düsteres Politdrama zu inszenieren. «All meine Filme haben eine komische Grundidee», betont Lewinsky. Hier sei es die Erinnerung an spiessige Polizisten gewesen, die sich in unbeholfener Coolness in die linke Szene einzuschleusen versuchten. «Eine klassische Komödienprämisse», meint der Regisseur. «Und ich denke, mit 30 Jahren Abstand darf man die Absurdität der damaligen Geschehnisse als Komödie erzählen.»
Viktor alias Walo (Philippe Graber) wird als Statist akzeptiert und verfolgt bald eine heisse Spur. Doch dass sich diese mit der Person der Schauspielerin Odile Jola (Miriam Stein) kreuzt, irritiert ihn. Denn diese weckt in ihm zarte Gefühle. Und so vermengen sich Berufs- und Privatleben des etwas tollpatschigen Viktor/Walo auf turbulente Weise. Gleichzeitig erweist sich die «heisse Spur» als amüsantes Verwirrspiel. «Die Ansiedelung der Geschichte im Theatermilieu gab uns die Möglichkeit von Spiegelungen», sagt Micha Lewinsky. Tatsächlich zeigen sich bald überraschende Parallelen zwischen dem verblendeten Denken der Staatsschützer unter Dienstchef Marugg (Mike Müller) und der kreativ-ausgelassenen Theaterarbeit unter Regisseur Claus Heymann (Michael Maertens). «Beide Figuren sind nicht ganz koscher und wollen ihrem Umfeld ihr Weltbild aufzwingen», so Lewinsky.
«Sehr stimmiges Zeitdokument»
Und so bekommt die Komödie «Moskau Einfach!» jenen nuancierten Tiefgang, den man von früheren Filmen Lewinskys kennt. Sowohl «Der Freund» (2007) wie «Die Standesbeamtin» (2009) waren nur vordergründig Komödien, «Nichts passiert» (2015) dagegen ein Drama mit heiterem Touch. «Gute Komödien haben solche Schattierungen», sagt Micha Lewinsky. «Ich habe meistens eine komische Grundidee, die der Geschichte dann aber eine Eigendynamik erlaubt.» Im aktuellen Fall rutscht Viktor/Walo in eine veritable Identitätskrise, aus der ihn die Liebe zu Odile retten könnte. Doch auch diese beginnt alles zu hinterfragen und holt in einer atemberaubenden Schlüsselszene gar zum flammenden politischen Manifest aus.
Keine Frage: «Moskau Einfach!» ist eine Komödie mit vielen witzigen Anspielungen. Ein «Züri-Film» mit träfem Zeit- und Lokal-Kolorit. Ein Sozialdrama und eben doch auch ein Polit-Krimi. Nach ersten Reaktionen gefragt, erwähnt Regisseur Lewinsky jene, die ihm die komödiantische Verarbeitung eines noch nicht aufgearbeiteten Stücks Schweizer Geschichte ankreiden. Andererseits habe ein Polizist, der damals als Spitzel arbeitete, den Film als «sehr stimmiges Zeitdokument» taxiert.
Bogenschlag ins Heute
Das schon im Vorfeld auch medial breite Interesse an seinem Film, der Ende Januar zur Eröffnung der Solothurner Filmtage gezeigt wurde, freut Micha Lewinsky. Eine leichte Irritation aber bleibt: «Bisher habe ich einfach Geschichten erzählt, nun aber offenbar eine Thematik mit Relevanz gewählt.» Darin sieht der 47-Jährige auch eine Chance angesichts der Tatsache, dass unter 40-Jährige vom Fichen-Skandal kaum mehr wissen. «Wenn ich der heutigen Jugend etwas in Erinnerung rufen kann, freut mich das. Wichtig wäre, den Bogenschlag ins Heute zu machen, da sich alle stets freiwillig überwachen lassen, ihre eigene Fiche gleichsam selbst ins Internet stellen.»
Moskau Einfach!
Regie: Micha Lewinsky
Ab Do, 13.2., im Kino
«Manchmal bleibt nur noch die Komödie»
Der Fichen-Skandal, der Micha Lewinskys neuem Film «Moskau Einfach!» das historische Gerüst gibt, hat 1989 die Schweiz erschüttert. Der kulturtipp hat Zeitzeugen und Betroffene um ihre Erinnerungen gebeten.
Moritz Leuenberger:
Der Alt-Bundesrat war damals noch Nationalrat und hat die PUK (Parlamentarische Untersuchungskommission) präsidiert, die den Fichen-Skandal ans Licht brachte.
«Das Entsetzen war enorm über das Ausmass der Bespitzelung und den Umstand, dass Bürgerinnen und Bürger verfolgt wurden, obwohl sie nur ihre demokratischen Rechte wahrnahmen. Alle Parteien von der SVP bis zu den Grünen verabschiedeten den PUK-Bericht einstimmig und ohne Enthaltung. Persönlich belastete mich, wie ‹linke› Professoren ihre Studenten und freisinnige Eltern die eigenen Kinder anzeigten, weil sie mit ihrer politischen Gesinnung nicht einverstanden waren. Zum Film: Es gibt kein noch so ernstes oder trauriges Thema, dem nicht mit Humor beizukommen wäre. Im Gegenteil: Manchmal bleibt nur noch die Komödie.»
Charles Lewinsky
Der bekannte Autor ist der Vater von Filmemacher Micha Lewinsky.
«Ich habe keine Erinnerung, ob und wie ich damals mit meinem Sohn über den Fichen-Skandal gesprochen habe. Ob ich selbst eine Fiche hatte, weiss ich nicht. Ich fand die ganze Geschichte so lächerlich, dass ich nie nachgefragt habe. Von ‹Moskau Einfach!› durfte ich eine frühe Drehbuchfassung lesen und Anmerkungen machen. Aber mein Sohn braucht keine Ratschläge von mir – von Filmdrehbüchern versteht er mehr als ich.»
Lukas Hartmann
Der Schriftsteller war fichiert worden und hat die politischen Umbrüche von 1989 in Europa in seinem Roman «Auf beiden Seiten» thematisiert.
«In meiner Fiche war vermerkt, an welchen Anti-Kriegs-Demonstrationen ich teilgenommen hatte, aber ebenso der unerwartete Besuch eines nordkoreanischen Botschaftsangestellten. Er klingelte an meiner Tür und wollte mich überreden, eine Einladung in sein Land anzunehmen. Das lehnte ich strikte ab. Nach zehn Minuten war er wieder gegangen. Aber ich stand nun unter Verdacht, mit Nordkorea in Verbindung zu stehen. Das hat mich nachträglich erheitert. Insofern macht Micha Lewinskys Komödie durchaus Sinn. Mit Komödien lassen sich Absurditäten am besten darstellen. Die Fichen-Affäre müsste aber auch politisch aufgearbeitet werden. Da gibt es noch einige blinde Flecken und zu viele geschwärzte Stellen.»