Billie Holiday, die Jahrhundertstimme, die sagte: «Ich wollte immer wie ein Instrument singen.» Die Vaterlose, die als Kind vergewaltigt wurde und die als Prostituierte anschaffen ging. Die Diskriminierte, die auf Tournee mit weissen Musikern als einzige Schwarze ein anderes Hotel finden musste und nicht mit ihnen zusammen ins Restaurant durfte. Billie Holiday, eine bis heute gültige Ikone, die in gefährlichen Zeiten gegen Rassismus kämpfte. Die Interpretin von «Strange Fruit», einem der grausamsten und eindringlichsten Songs, der von Lynchjustiz an Schwarzen erzählt. Die Drogensüchtige, gesellschaftliches und politisches Opfer, Zielscheibe des FBI, die von Männermacht ausgenutzte Künstlerin.
Dies alles sind Aspekte, die in der biografischen Dokumentation des Briten James Erskine zur Sprache kommen, nicht zuletzt mit Hilfe von erstmals verwendeten Dokumenten. Dabei handelt es sich um Recherchematerial der US-Journalistin Linda Lipnack Kuehl. Sie hatte über acht Jahre hinweg geforscht und mit Weggefährten, Mitmusikern und Zeitzeugen Interviews geführt. Kuehl kam 1978 unter mysteriösen Umständen ums Leben, bevor sie ihre Arbeit in einem geplanten Buch fertigstellen konnte.
Erstmals Filmaufnahmen in Farbe
Der Film verschränkt die Biografien der beiden Frauen. Unter anderem nutzt er die Quelle von 125 Tonbandkassetten mit 200 Stunden Interviewaufnahmen. Dazu hat Erskine viel Bildmaterial aus Archiven restauriert, und erstmals überhaupt sind Filmaufnahmen mit Billie Holiday in Farbe zu sehen.
Viele Fragen werden im Film gestellt. Antworten sind nicht immer zu finden: «All die jungen Sängerinnen sind übergeschnappt. Wenn sie ganz oben sind, passiert etwas Tragisches.» – «Wieso müssen so viele grosse Jazzmusiker so jung sterben? Wir versuchen, in einem Tag 100 Tage zu leben.»
Billie Holiday, die einst den Glanz kannte, starb 1959 im Alter von 44 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich bescheidene 750 Dollar auf ihrem Konto.
Billie
Regie: James Erskine
GB 2020, 96 Minuten
Ab Do, 9.9., im Kino