Film: Flucht in die Fantasie
Der italienische Regisseur Claudio Noce erzählt in «Padrenostro» vor autobiografischem Hintergrund von einer aussergewöhnlichen Kindheit in den 1970er-Jahren.
Inhalt
Kulturtipp 13/2021
Urs Hangartner
Man hört Drupi, Francesco De Gregori und Premiata Forneria Marconi. Im Fernsehen läuft die Trickfilmserie «La Linea». Es sind die 1970er-Jahre in Italien. Der blonde Valerio (Mattia Garaci) ist zehn Jahre alt. Sein geliebter Vater, der seinen Sohn «mein Grosser» nennt, ist selten zu Hause: Alfonso (Pierfrancesco Favino) amtet als Vizepolizeipräsident von Rom. Man nennt jene Zeit in Italien auch «die bleiernen Jahre». Linksextremistische Grupp...
Man hört Drupi, Francesco De Gregori und Premiata Forneria Marconi. Im Fernsehen läuft die Trickfilmserie «La Linea». Es sind die 1970er-Jahre in Italien. Der blonde Valerio (Mattia Garaci) ist zehn Jahre alt. Sein geliebter Vater, der seinen Sohn «mein Grosser» nennt, ist selten zu Hause: Alfonso (Pierfrancesco Favino) amtet als Vizepolizeipräsident von Rom. Man nennt jene Zeit in Italien auch «die bleiernen Jahre». Linksextremistische Gruppen befinden sich im bewaffneten Kampf gegen den Staat.
Eines Morgens wird Vater Alfonso das Ziel eines Anschlags. Zwei Menschen, ein Bodyguard und einer der Attentäter, sterben. Der Vater überlebt schwer verletzt. Sohn Valerio bekommt es aus der Ferne mit. Was da aber genau passiert ist, darüber schweigen die Erwachsenen.
Geschichte aus der Kinderperspektive
Derweil unterhält sich der Junge mit einem eingebildeten Spielkameraden im Estrichzimmer. Und er schliesst Freundschaft mit dem geheimnisvollen Christian (Francesco Gheghi), der urplötzlich auftaucht. Christian ist ein paar Jahre älter als Valerio, er raucht schon und scheint ein wildes, ungebundenes Leben ohne Eltern zu führen. Ist auch Christian nur eingebildet?
«Dieser Film beruht auf einer wahren Geschichte.» Das steht ganz am Anfang. Im Abspann widmet Regisseur Noce den Film seinem Vater und seiner Familie. Tatsächlich beruft sich Noce auf Autobiografisches. Allerdings war er noch keine zwei Jahre alt, als sein Vater von Terroristen angeschossen wurde. Der Film nimmt sich die erzählerischen Freiheiten für eine eigene Geschichte aus Kinderperspektive mit den realen dramatischen Ereignissen als Inspiration. Er zeigt, wie ein Trauma nachwirkt, wie ein Kind sich ins Fantastische flüchtet, wie stark Familienbande sein können und was Freundschaft bedeutet. So wird «Padrenostro» zum Film über Verstörungen, die in die Unbeschwertheit des Lebens eindringen.
Padrenostro
Regie: Claudio Noce
I 2020, 122 Minuten
Ab Do, 17.6., im Kino