Film: Familienfahrt der mysteriösen Art
Im Erstling «Hit the Road» von Panah Panahi reist eine Familie mit geheimnisvollem Ziel und Zweck durch den Iran. Ein beklemmender und leichzeitig komisch-leichter Film.
Inhalt
Kulturtipp 17/2022
Urs Hangartner
Vier Personen machen Rast am Rande einer Schnellstrasse im Iran: Vater Khosro (Hassan Madjooni) mit Gipsbein, die Mutter (Pantea Panahiha), der kleine Sohn (der sechsjährige Rayan Sarlak) und am Steuer Sohn Farid, der schweigsame Mittzwanziger (Amin Simiar). Der Kleine ist eine altkluge, vorlaute Nervensäge. Einmal vermutet die Mutter, dass sie verfolgt werden. Es ist aber nur falscher Alarm. Bei einem weiteren Halt wiederum diskutieren die Mutter und Farid darüber, welches der...
Vier Personen machen Rast am Rande einer Schnellstrasse im Iran: Vater Khosro (Hassan Madjooni) mit Gipsbein, die Mutter (Pantea Panahiha), der kleine Sohn (der sechsjährige Rayan Sarlak) und am Steuer Sohn Farid, der schweigsame Mittzwanziger (Amin Simiar). Der Kleine ist eine altkluge, vorlaute Nervensäge. Einmal vermutet die Mutter, dass sie verfolgt werden. Es ist aber nur falscher Alarm. Bei einem weiteren Halt wiederum diskutieren die Mutter und Farid darüber, welches der beste Film der Welt ist. Für den Sohn ein klarer Fall: «2001: A Space Odyssey» von Stanley Kubrick. Und der Kleine hat ausgerechnet, wie teuer ein lädiertes Batmobil ist. Nämlich 600 Millionen US-Dollar. «Ich drehe langsam durch. Wie soll das alles enden?», fragt Vater Khosro an einer Stelle. Und seiner Frau kommen Zweifel, ob ihr Mann überhaupt das Bein gebrochen hat – «Wer braucht schon drei Monate einen Gips?»
Eine Familie scherzt und schimpft
Eine Bedingung ihrer Reise scheint zu sein, dass sie aufs Handy verzichten. Früh entdecken sie allerdings, dass der Kleine eines dabeihat. Die Mutter vergräbt es im Wüstensand. Und Khosro telefoniert heimlich – sein Gips ist ein gutes Handyversteck. So fahren sie weiter durch die abwechslungsreiche Landschaft. Sie scherzen und beschimpfen sich, rauchen, gehen einander auf die Nerven, singen gemeinsam lauthals iranische Popsongs aus dem Autoradio mit. Eine Reise zwischen Beklemmung und komischer Leichtigkeit, von der Schnellstrasse in der wüstenähnlichen Ebene hinauf ins Grüne und Ländliche von Hügeln und Bergen.
Panahi führt die iranische Filmtradition weiter
Es geht in Richtung türkische Grenze. Ein maskierter Motorradfahrer gibt der Familie Instruktionen, wohin sie weiterfahren sollen. Sie müssen einem Schäfer ein Schaffell abkaufen. Von Farid haben sie sich verabschiedet. Wohin ist er gegangen? Hat er sich in die Hände von Schleppern begeben? Musste er fliehen? Die Antwort bleibt offen und das Geschehen letztlich im Geheimnisvollen. Regisseur Panah Panahi (*1984), der mit «Hit the Road» seinen Spielfilm-Einstand gibt, trägt einen berühmten Namen: Er ist der Sohn von Jafar Panahi, dem international ausgezeichneten Filmemacher, der seinen Beruf gar nicht ausüben dürfte. Seit 2010 ist er mit einem Berufs- und Ausreiseverbot belegt. Jafar Panahi hat einfach weitergemacht, illegal und heimlich. Sein Sohn hat – bis jetzt – Glück gehabt. Er hat sein Debüt frei drehen können. Vater Jafar dagegen ist in diesem Juli verhaftet worden und muss eine sechsjährige Haftstrafe antreten. Panah Panahi steht als Angehöriger einer neuen Generation in der Traditionslinie seines Vaters und weiterer iranischer Filmemacher. Mit seinem Erstlingswerk beweist er auf überzeugende Art eine künstlerische Eigenständigkeit. Der iranische Film lebt so oder so weiter.
Hit the Road
Regie: Panah Panahi
Iran 2021, 94 Minuten
Ab Do, 11.8., im Kino