Vier Städte, vier Paare: Europa an den Rändern mit den Städten Tallinn, Sevilla, Dublin, Thessaloniki sowie acht Protagonisten. Menschen zwischen 21 und 31 lieben und streiten sich, versuchen, über die Runden zu kommen. So stehen zwei in der Schlange einer Armenküche in Dublin. Oder man klaut im Supermarkt in Sevilla eine Konservendose Katzenfutter, eine andere verdingt sich als Tabledancerin. Man macht für ein paar Münzen Strassenmusik, betreibt Urban Gardening, findet Arbeit als Nachtwächter auf einer Baustelle und gefährdet seine Gesundheit beim Folienrauchen.
Regisseur Jan Gassmann zeigt die «Lost Generation» von heute, eine prekäre Generation. Er ist der Regisseur von «Chrigu» (2007) oder «Off Beat» (2011) und einer der treibenden Kräfte hinter dem herausragenden Kollektivfilm «Heimatland» (2015). Der 33-Jährige porträtiert seine eigene Generation, wie er sagt, «die Vergessenen, Verlorenen, die Unzufriedenen». Er zeigt, wie es läuft, wenn es nicht läuft: Strategien zur individuellen Lebensbewältigung, die Praxis im Alltag, das Zueinanderhalten, Glücksmomente, Krisen, Abstürze.
Zu den Nahaufnahmen seiner porträtierten Menschen schneidet Gassmann Bilder europäischer Landschaften; auf der Tonspur vernimmt man zwischendurch Stimmen aus dem Radio oder aus dem Fernsehen, die von Krisen berichten.
Es geht offen und ehrlich zu, authentisch und mutig
Für Gassmann spiegelt sich das Grosse im Kleinen, das Kleine findet sich im Grossen wieder. Wie hier in diesen europäischen Momentaufnahmen, in denen episodisch alles miteinander verwoben ist – bis tief in die Gefühlswelt hinein: «Ich finde, der Dokumentarfilm sollte das Feld der Liebe nicht einfach dem Spielfilm überlassen oder sich hinter wissenschaftlicher Theorie verstecken», sagt Gassmann dazu. Er glaube, «je subjektiver ein Film gedreht und am Ende montiert wird, desto näher ist man am Menschen. Kein Film ist neutral.»
Die vier Paare präsentieren sich vor der Kamera (von Ramon Giger) in intimen, privaten Situationen. Geradezu hautnah-körperlich geht es offen und ehrlich zu und her, authentisch und mutig. Jan Gassmann legt einen «Film über die Politik der Liebe in Zeiten der Krise» vor, Gleichnishaftes «für einen Kontinent».
Den «Titelsong» zu diesem Dokumentarfilm liefert die englische Rapperin Kate Tempest mit den wütenden Zeilen ihres bösen pessimistischen Protestliedes «Europe Is Lost». In ganzer Länge hört man es im Abspann. Von Träumen ist darin die Rede, die unerfüllt bleiben, vom Schlafen und Aufwachen und vom Verlorensein.
Europe, She Loves
Regie: Jan Gassmann
Ab Do, 29.9., im Kino