Man wähnt sich gleich zu Beginn in einem Actionfilm. Wo doch eine Komödie erwartet wird. Es fängt bereits im Vorspann an: Polizisten stürmen eine Drogendealer-Wohnung. Es wird geschossen und massiv geblutet. Mitten drin ein heldenhafter Polizist. Die Szene wird mehrmals wiederholt im Laufe des Films, allerdings mit Variationen. Der Polizeieinsatz ist die tägliche Gutenachtgeschichte, die Yvonne (Adèle Haenel) ihrem kleinen Sohn am Bett erzählt. «Papa war wirklich stark.» – Die Mutter: «Wie ein Löwe.» Der Vater, ein Held! Oder vielleicht doch nicht?
Yvonne ist seit zwei Jahren Witwe. Ihr geliebter Ehemann, Polizeichef Santi, wurde in Ausübung seines Berufes getötet. Jetzt stellen sie ihm am Hafen der südfranzösischen Stadt ein kitschiges Denkmal hin.
Die Wirklichkeit sah anders aus
Yvonne, selber Polizistin, erfährt die Wahrheit beim Einsatz in einem Sadomaso-Puff: Ihr Mann war in Wirklichkeit ein korruptes Schwein. Damit nicht genug: Durch Santi ist einer unschuldig im Gefängnis gelandet. Acht Jahre lang hat Antoine (Pio Marmaï) gesessen. Ihn hat man seiner Jugend beraubt. Yvonne begibt sich, von schlechtem Gewissen geplagt und aus Wut über ihren Ehemann, auf eine Art Wiedergutmachungsmission. Inkognito heftet sie sich an die Fersen von Antoine, der seinerseits ganz seltsame Verhaltensweisen an den Tag legt. Unverhofft rastet er in Gesellschaft aus, prügelt sich, greift auf der Strasse Unschuldige an. Bei einer späteren Konfrontation wird er sagen: «Ich bin verrückt geworden. Ich glaube, ich bin ein Monster geworden.» Yvonnes tröstliche Worte: «Lieber Arschloch als Opfer.»
Für eine Spritzfahrt klaut Antoine einen Ferrari, den er auch gleich demoliert. In einer Fressbeiz kann er ohne zu lügen behaupten, dass er die feinen Serviettenstickereien verantwortet (eine Knastarbeit). Daheim hat übrigens seine liebende Ehefrau Agnès auf ihn gewartet. Eine schöne, verhaltene Rolle für die bezaubernde Audrey Tautou («Amélie») als zarte und treue Seele. Antoine entscheidet sich, wenn schon, denn schon, für eine Tat, die er ja schon begangen haben soll: Er überfällt einen Juwelierladen in Sadomaso-Kluft – «Ich will nicht mehr unschuldig sein.»
Motive aus Gangster- und Actionfilmen
Auf einer anderen Lebensspur wird Yvonne von ihrem Polizei-Kollegen Louis (Damien Bonnard) angehimmelt. Das geht so weit, dass er sie aus lauter Liebe auf einer Kilbi zu einer fingierten Verbrecherjagd durch Geisterbahn und Kasperlitheater bestellt.
Die gescheit inszenierte turbulente Komödie von Pierre Salvadori versammelt ein Ensemble aufgestellter Darsteller, die am komischen Treiben ihren Spass zu haben scheinen. Der Film spielt mit den Motiven von Gangster- und Actionfilm, von Verwechslungskomödie und Liebesfilm. Es darf gesagt sein: Die Liebe gewinnt am Schluss, wenn die falschen Leben überwunden sind und die wahre Menschlichkeit zum Zug kommt. Das ist tröstlich – und köstlich umgesetzt.
En liberté
Regie: Pierre Salvadori
Ab Do, 30.5., im Kino