In Argentinien treibt ein Entführer sein Unwesen. Er hält die Opfer in seinem Haus im noblen Vorort von Buenos Aires gefangen, verlangt von Angehörigen Lösegeld. Nach der Geldübergabe bringt er seine Geiseln kaltblütig um. Familienmitglieder unterstützen ihn bei seinen kriminellen Taten. Die Ehefrau, eine Lehrerin, weiss Bescheid; der älteste Sohn muss aus familiärer Loyalität mitmachen. Nur die jüngste Tochter scheint keine Ahnung zu haben, was sich in einem der Badezimmer oder im Kellerverlies abspielt.
Der Mann heisst Arquímedes Puccio und hat tatsächlich gelebt. In der Diktatur ist er Mitglied des staatlichen Sicherheitsdienstes, und seine «Nebenbeschäftigung» wird von oberen Stellen gedeckt. Bis nach sieben Jahren anhaltender Diktatur der politische Wind dreht: 1983 wandelt sich das argentinische System zur freiheitlichen Demokratie. Arquímedes macht unbeirrt weiter, obwohl er von oben gewarnt wird («Halten Sie sich zurück» – «Wir können Sie nicht mehr schützen»).
Die Fassade bröckelt
Er entführt und tötet gar Freunde seines Sohnes Alejandro, der selber prominent ist: Alejandro spielt in der Rubgy-Nationalmannschaft, ist eine Person in der Öffentlichkeit. Der patriarchalische Vater verlangt von ihm, dass er sich weiter loyal zeigt. Nach einer Entführungs-Aktion übergibt Arquímedes seinem Sohn ein paar Dollar-Bündel, viel Geld, mit dem Alejandro ein Sportgeschäft eröffnen kann, aber dieser will lieber aussteigen. Ein jüngerer Bruder füllt die Lücke im Familienunternehmen.
Arquímedes und die Seinen können die gutbürgerliche Fassade noch eine Weile aufrechterhalten. Die Polizei scheint ihnen nicht auf die Schliche zu kommen – bis im Sommer 1985 alles auffliegt. Arquímedes, Alejandro, die Ehefrau und weitere Familienmitglieder werden in ihrem Haus verhaftet. Das Medieninteresse ist gross, nicht zuletzt natürlich durch die Popularität des Sportlers Alejandro.
Das Familienoberhaupt beteuert im Prozess und bis zu seinem Tod, nicht verantwortlich gewesen zu sein für die Gräueltaten («Ich wurde dazu gezwungen»). Alejandro schwört gegenüber seinen unwissenden Freunden: «Ich bin unschuldig.»
Ein ungeheurer Fall
Diese wahre Geschichte erzählt der Film «El Clan». Soweit wie möglich folgt das Drehbuch dabei den bekannten Fakten. So ist ein Film entstanden, der von einer schrecklichen Familie berichtet, einen Vater-Sohn-Konflikt thematisiert und ein Zeitbild bietet von der politischen Welt Argentiniens in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre – Krimi, Familientragödie, Politthriller in einem.
Der ungeheure Kriminalfall rund um die Familie Puccio ist in Argentinien für Jahrzehnte in Vergessenheit geraten. Erst seit kurzem ist das Thema wieder öffentlich geworden, durch ein Buch und nun mit dem Film des 1971 geborenen Pablo Trapero. In Argentinien gingen beim Filmstart in den ersten vier Tagen eine halbe Million Menschen ins Kino, um «El Clan« zu sehen.
Internationale Anerkennung gab es letztes Jahr in Venedig: Der Film wurde mit einem Silbernen Löwen für die beste Regie ausgezeichnet.
El Clan
Regie: Pablo Trapero
Ab Do, 10.3., im Kino