Film - Eine verzweifelte Liebe
Regisseur Terence Davies adaptiert in seinem jüngsten Film das Theaterstück «The Deep Blue Sea» von Terence Rattigan aus der englischen Nachkriegszeit.
Inhalt
Kulturtipp 08/2012
Urs Hangartner
Ganz am Anfang steht ein Verzweiflungsakt: Die junge und schöne Hester Collyer (Rachel Weisz) will sich das Leben nehmen. Der Abschiedsbrief an ihren Geliebten Freddie Page (Tom Hiddleston) ist geschrieben und auf den Sekretär gelegt. Sie schluckt viele Tabletten auf einmal und wirft Münzen ein in den Apparat beim Gas-Cheminée. Der Suizidversuch misslingt dank eines obskuren, im Haus lebenden Arztes und dank der beherzten Vermieterin. Die Überlebende beschreibt...
Ganz am Anfang steht ein Verzweiflungsakt: Die junge und schöne Hester Collyer (Rachel Weisz) will sich das Leben nehmen. Der Abschiedsbrief an ihren Geliebten Freddie Page (Tom Hiddleston) ist geschrieben und auf den Sekretär gelegt. Sie schluckt viele Tabletten auf einmal und wirft Münzen ein in den Apparat beim Gas-Cheminée. Der Suizidversuch misslingt dank eines obskuren, im Haus lebenden Arztes und dank der beherzten Vermieterin. Die Überlebende beschreibt ihren Zustand so: «Keine Tragödie, traurig vielleicht, aber kein Sophokles.»
Doppelt bestraft
Was war: Eine Liebe gegen jede Vernunft, eine Beziehung voller Leidenschaft. Eine Liebe vor allem gegen die Konvention, gegen die gesellschaftliche Stellung als Ehefrau eines geadelten älteren Richters, der sich nicht scheiden lassen will. Es ist eine romantische, stürmische Liebe, die Hester mit Freddie lebt. Um spät, nach zehn Monaten, zu merken, wie ihr Geliebter es vorzieht, mit Freunden ins Pub trinken und übers Wochenende Golf spielen zu gehen.
Hester wird in ihrer Liebe doppelt bestraft: Ganz persönlich als vernachlässigte Liebende und gesellschaftlich durch ihre Ausgrenzung wegen ihrer unstatthaften Beziehung. Nicht nur liebt sie als verheiratete Frau einen anderen, der Geliebte ist als arbeitsloser Airforce-Pilot auch von minderem Stand.
Regisseur Terence Davies reduziert bei seiner Theateradaption zum einen und fügt zum andern hinzu. Waren bei Terence Rattigans Stück von 1952 Einheit von Zeit und Raum gegeben, so bricht der Film damit: Er konzentriert sich auf den einen Tag «around 1950», um von da näher oder weiter zurückzublenden. Am weitesten zurück reicht eine wunderbar anrührende Szene im Jahr 1940: Während des Blitzkriegs schützen sich zahlreiche Londoner in einer
U-Bahn-Station. Die Menschen verharren still im Schutzraum und einer singt einsam und laut den Folksong «Molly Malone» vor sich hin.
Die Musik, das Singen: Wie in früheren Filmen von Davies sind sie auch hier wieder im Spiel. Ganz zu Beginn, als die Kamera ins Zimmer von Hester fährt, ertönt Samuel Barbers Violinkonzert Nr. 14. Und wie in Davies’ «Distant Voices, Still Lives» (1988) – einer glücklichen Kindheitserinnerung des Regisseurs – wird gemeinsam gesungen: Ein ganzes Pub lässt als ein einziger grosser Chor in rauchgeschwängerter Luft ein fröhliches Lied erklingen.
«Es hat heute ein Ende»
Am Ende verliert die Frau. Noch meint Hester, mit Freddie mitgehen zu können, als er ihr von einem Jobangebot als Testflieger in Rio de Janeiro berichtet. «Wann gehen wir?» fragt sie. Er: «Wir gehen nicht. Es ist vorbei. Es hat heute ein Ende.» Wieder schaltet Hester das Gas-Cheminée ein. Doch diesmal nur, um sich zu wärmen. Die Kamera macht die gleiche Bewegung wie zu Beginn des Films, nur rückwärts diesmal. Zurück bleibt ein schwach beleuchtetes Fenster. Dahinter die allein gelassene Hester.
Die berückenden 1950er-Jahre-Bilder für den Film des 67-jährigen Davies hat der 1970 geborene deutsche Kameramann Florian Hoffmeister gestaltet.