Amsterdam, Gegenwart: Das Haus, in dem Anne Frank sich mit ihrer Familie versteckte und wo zwischen 1942 und 1944 ihr international berühmt gewordenes Tagebuch entstand, ist ein Museum. Da passiert es: Das Glas der Vitrine mit dem Original- Tagebuch im rot-weissen Stoffumschlag zersplittert, aus der herausfliessenden Tinte ma- terialisiert sich ein rothaariges Mädchen. Es ist Kitty, die imaginäre Freundin, Seelenverwandte und Briefadressatin aus Anne Franks Tagebuch.
Die Welt fahndet nach Kitty und ihrem Tagebuch
Draussen in der Gegenwartswelt von Amsterdam wird sie lebendig und sichtbar. Kitty weiss Jahrzehnte nach ihrer Existenz im Tagebuch noch nicht, was inzwischen alles passiert ist. Es sind Wahrheiten, die sie erst entdecken muss.
Etwa, was aus Anne geworden ist. Die Handlung springt zwischen damals und heute hin und her. Die Vergangenheit wartet mit Szenen auf, wie sie Anne Frank aufgeschrieben hat. Im Erfundenen der Gegenwart erfährt Kitty von Geflüchteten, denen die Ausschaffung droht. Kitty hat das Tagebuch bei sich, und alle Welt fahndet nach ihr und dem Buch. «Wo ist Anne Frank?», heisst es auf Plakaten in der Stadt.
Kitty schreitet zur Tat und wird zur Aktivistin. Sie verwendet das Tagebuch als Druckmittel für eine humanitäre Tat. Nach actionreichen Verfolgungsjagden verkündet sie per Megafon: «Wenn ihr die Geflüchteten heimschickt, werfe ich das Tagebuch ins Feuer.» Der israelische Regisseur und Drehbuchautor Ari Folman (* 1962) will im Film den Holocaust, Deportation und Vernichtung nicht gleichsetzen mit heutigen Flüchtlingsfragen. In einer Schlussnotiz weist er aber auf das Schicksal von geflüchteten Kindern hin, die Opfer in kriegerischen Zeiten werden.
Mal bedrückend düster, mal humorvoll und leicht
Schon einmal hat Ari Folman mit einem ernsthaften Animationsfilm auf sich aufmerksam gemacht. In «Waltz With Bashir » (2008) verarbeitete er seine eigenen traumatischen Erfahrungen als israelischer Soldat im Libanonkrieg von 1982 in halbdokumentarischer Art.
Im Fall von «Where Is Anne Frank» wählte er den Animationsfilm als Mittel, um ein jüngeres Publikum ab zwölf Jahren anzusprechen. Ganze acht Jahre beschäftigte sich Folman mit der Umsetzung seines Stoffs, nachdem das Projekt vom Anne Frank Fonds in Basel an ihn herangetragen worden war. Für die 99 Filmminuten sind insgesamt 159 000 Einzelzeichnungen in Ateliers in 15 Ländern entstanden. Der Aufwand hat sich gelohnt. Als Mischung von Realistischem und Fantastischem bringt der Film in ungewohnter Form die Geschichte von Anne Frank mit der Gegenwart zusammen. Mal in bedrückend düsteren, mal in durchaus humorvollen, unbeschwert poetischen Bildern.
Where Is Anne Frank
Regie: Ari Folman
ISR/F/BE 2021, 99 Minuten
Ab Do, 23.2., im Kino
Schuldossier für den Unterricht
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