Der 64-jährige Italiener Uberto Pasolini ist vor allem als Produzent ein Begriff, etwa durch den Kinohit «The Full Monty» (1997). «Nowhere Special» ist Pasolinis dritter Film als Regisseur, das Drehbuch stammt ebenfalls von ihm. Auf seinen Stoff ist er durch einen Zeitungsartikel aufmerksam geworden: Ein alleinerziehender Vater, der nicht mehr lange zu leben hat, sucht eine Adoptivfamilie für seinen kleinen Sohn.
Weitere Hintergrundinformationen zum konkreten Fall konnte Pasolini nicht in Erfahrung bringen. Aber ihm war klar: Das ist ein Filmstoff, den er realisieren möchte. So kam es zu diesem ruhigen realistischen Werk im Geiste des Japaners Ozu Yasujiro oder der belgischen Filmbrüder Jean-Pierre und Luc Dardenne. Ein bewegendes Werk, das trotz des schweren Stoffes von Leichtigkeit geprägt ist.
«Was heisst ‹adoptieren›, Daddy?»
Den liebevollen, von Schmerz sich beinahe verzehrenden Vater John gibt James Norton, ein aus dem britischen Serien-Fernsehen («Grantchester») bekanntes Gesicht. Er spielt einen Fensterputzer im nordirischen Belfast. Immer wieder blickt er durch die Scheiben in die Lebenswelten bessergestellter Menschen.
Der kleine Michael (grossartig: Daniel Lamont), den John am Morgen in die Kita bringt und am Mittag wieder abholt, begreift vieles nicht. Wo ist seine Mutter? Alle anderen haben eine. Sie sei «ganz weit weg», erklärt der Vater. Sechs Monate nach Michaels Geburt war sie verschwunden.
John hat nicht mehr lange Zeit. Eine unheilbare Krankheit lässt ihn nur noch ein paar wenige Monate leben. John und Michael gehen verschiedene Familien besuchen – «neue Freunde», wie sich der Kleine das vorstellt. Dass es Evaluationen für seine Zukunft sind, begreift Michael freilich nicht. Einmal aber fragt der Kleine nach einem solchen Besuch: «Was heisst ‹adoptieren›, Daddy?»
«Ich werde immer bei dir sein»
Johns Anspruch lautet: «Michael verdient, eine liebevolle Familie zu haben, alles, was ich nicht hatte.» Sein eigenes Sterben, seinen Tod stellt er hintan. Es geht ihm um das Leben, um die Zukunft von Michael. «Ich will nicht, dass er ‹Tod› versteht», sagt er der Beamtin vom Jugendamt. Um das Todesthema kommt John aber doch nicht herum. «Ich werde immer bei dir sein.» In ihm drin, in der Luft um ihn herum. «Auch im Regen, in den Trauben?», fragt Michael, und John antwortet ihm: «Nicht in den Trauben selber, aber in ihrem Geschmack.» Noch einmal gehen die beiden auf den Rummelplatz, ein letztes Mal Zuckerwatte, Schaukel, Karussell, Spiegelsaal.
Aus diesem Filmstoff hätte leicht ein vor Sentimentalität triefendes Melodram werden können. Nicht so bei «Nowhere Special», dank der zurückhaltenden Inszenierung und durch das herausragende Spiel der beiden Hauptdarsteller. Auf alle Fälle herzzerreissend.
Nowhere Special
Regie: Uberto Pasolini
GB/I/Rumänien 2020, 92 Minuten
Ab Do, 5.8., im Kino