Film - Ein letzter Liebesdienst
In seinem jüngsten Film «Amour» lässt Regisseur Michael Haneke zwei Altstars des französischen Kinos bravourös aufspielen. Ein Kammerstück um die letzten Fragen: Lieben, Leiden und Sterben.
Inhalt
Kulturtipp 20/2012
Urs Hangartner
Der Anfang nimmt das Ende voraus: Feuerwehrleute und Polizisten brechen eine Wohnung auf. Im Schlafzimmer liegt eine tote Frau. Sie hat ein hübsches Kleid an, das Bett ist mit Blumen drapiert. Was sich bis zu diesem Zeitpunkt ereignet hat, ist Gegenstand der folgenden zwei Filmstunden.
Georges und Anne, ein Pariser Ehepaar in seinen 80ern, besuchen ein Klavierkonzert. Sie können über die Musik fachsimpeln: «Die Achtel im Presto waren formidabel.» Der Soli...
Der Anfang nimmt das Ende voraus: Feuerwehrleute und Polizisten brechen eine Wohnung auf. Im Schlafzimmer liegt eine tote Frau. Sie hat ein hübsches Kleid an, das Bett ist mit Blumen drapiert. Was sich bis zu diesem Zeitpunkt ereignet hat, ist Gegenstand der folgenden zwei Filmstunden.
Georges und Anne, ein Pariser Ehepaar in seinen 80ern, besuchen ein Klavierkonzert. Sie können über die Musik fachsimpeln: «Die Achtel im Presto waren formidabel.» Der Solist (der Pianist Alexandre Tharaud) war einer von Annes Schülern. Beide, Georges und Anne, waren musikpädagogisch tätig.
Jetzt, im Pensionsalter, leben sie ein ruhiges Leben, das noch immer die Liebe kennt. Da bemerkt Georges eines Morgens in der Küche einen Aussetzer von Anne. Sie kann sich an Unmittelbares nicht mehr erinnern. Ein Schlaganfall wird diagnostiziert. Eine Operation wird nötig. Anne kehrt im Rollstuhl nach Hause zurück und bittet ihren Mann: «Bring mich nie mehr ins Krankenhaus.»
Der Befreiungsschlag
Ihre Lage verschlechtert sich langsam, aber stetig. Georges übernimmt als treusorgender Ehemann die Pflege seiner kranken Gattin. Das Essen schneidet er ihr mundgerecht in Stückchen. Er wäscht ihr die Haare, übt sich als Physiotherapeut, wechselt ihr die Windeln. Anne verliert zusehends ihre Sprachfähigkeit, doch noch kann sie reden.
Tochter Eva (Isabelle Huppert in ein paar kurzen Szenen) ist viel unterwegs. Bei ihrem Besuch sagt sie zu ihrem Vater Georges: «Du kannst so nicht weitermachen.» Ein Satz mit Folgen. Denn Georges entscheidet sich für eine Befreiung seiner leidenden Gattin – und für sich selbst. Es kommt zum letzten Liebesdienst.
«Amour» von Regisseur und Drehbuchautor Michael Haneke ist schonungslos und beklemmend. Und genau diese Unerbittlichkeit ist ein «Markenzeichen» des österreichischen Filmkünstlers. Immerhin ist dem Unerbittlichen diesmal die Härte etwas genommen, man spürt eine tröstliche Sanftheit. Das Kammerkinostück lebt von den starken darstellerischen Leistungen der Altstars Jean-Louis Trintignant (*1930) und Emmanuelle Riva (*1927; «Hiroshima, mon amour»). Das sind zwei Schauspieler, die den Film bravourös zu tragen vermögen.
Mit «Amour» hat der frankophile österreichische Regisseur Michael Haneke dieses Jahr in Cannes – zum zweiten Mal in Folge nach «Das weisse Band» (2009) – die Goldene Palme geholt.