Ein Techniker kramt mit der Hand in einer Packung M & M’s. Sofort blickt Wolfshund-Rüde Eryu hoffnungsvoll zu ihm statt zur Schauspielerin Lou Lengsfeld. Dann müssen alle still sein, die Aufnahme beginnt. Denn jetzt soll Lengsfeld mit Eryu weglaufen, damit der Tontechniker die Schritte auf dem Kies aufnehmen kann. Als Eryu zu viel Interesse am flauschigen Tonpuschel zeigt, muss der Tonmann diesen höher halten. Wenn Tiere vor der Kamera stehen, ist die Aufmerksamkeit oft eine besondere Knacknuss.
Wolfshund Eryu hat eine Doppelrolle
Wir befinden uns mitten im Dreh des Schweizer Kinofilms «Puppen & Krieger» von Lisa Blatter, der von SRF mitproduziert wurde. Der Film erzählt die Geschichte von Selma (Carla Juri) und Nori (Dashmir Ristemi), deren Beziehung nach einer Fehlgeburt beinahe zerbricht.
Hund Eryu hat zwei Rollen: Einerseits ist er der Hund von Noris Tochter Atina (Lou Lengsfeld) aus einer früheren Beziehung. Andererseits ist er ein Wolf, der Nori immer wieder im Traum erscheint. Heute steht eine Szene an, bei der Nori aus dem Fenster eines Spitals seine Tochter und ihren Hund sieht. Als Krankenhaus dient ein ehemaliges Altersheim im zürcherischen Rüschlikon.
Aufnahmen aus Distanz sind besonders schwierig
Aufnahmen aus der Nähe seien einfacher als solche von weiter weg, sagt Tiertrainerin Anita Ziegler. «Dann können wir den Blick des Tieres leichter lenken, indem wir Miryam oder mich hinter der Kamera positionieren.» Miryam Schnellmann ist Eryus Besitzerin. Sie sagt, die Dreharbeiten seien eine willkommene Herausforderung im Hundetraining, das sie ohnehin regelmässig macht. «Wir beide lernen viel dazu.»
Kommen Anfragen von Filmteams, sucht Ziegler zuerst in ihrem Bekanntenkreis das passende Tier. Darauf beginnt das Training: «Wir teilen das gewünschte Verhalten in einzelne Schritte ein, die wir dann nach und nach üben, etwa drei bis vier Mal pro Woche. Die Anstrengung wird mit Leckerli belohnt.» Es sei wichtig, die Tiere mit dem Essen nicht zu locken, sondern sie nach getaner Arbeit zu belohnen. «Nur so lernt das Tier effektiv und läuft nicht einfach dem Futter hinterher.»
Zieglers erster Beruf war Kommunikationsplanerin. In der Werbebranche galt der Dreh mit Tieren immer als schwierig. Also entschloss sich Ziegler, ihr Hobby als Tiertrainerin zum Beruf zu machen und Tiere speziell für den Film auszubilden. Dafür eignen sich laut Signer eigentlich alle Haustiere, die sich an fremden Orten mit fremden Menschen wohlfühlen. Die Ausbildung eines Hundes zum Beispiel dauere etwa zwei Jahre. Unter www.filmtier.ch kann man sich und sein Tier anmelden.
Ohne Improvisation gehts nicht
Nun wird dieselbe Szene vom Fenster aus aufgenommen. Es geht um jedes Detail: Eine Pfote des Hunds wird fünf Zentimeter nach vorne geschoben, die Haare von Lengsfeld werden noch einmal glattgestrichen. Via Funk kommt die spontane Anfrage: «Kann Eryu ebenfalls zum Fenster hochgucken?» Ziegler holt ein gelbes Quietschspielzeug aus dem Auto. Zuerst hält es Schnellmann einfach mit den Händen hoch. Das genügt nicht.
Deshalb klettert sie kurzerhand auf ein Vordach. Sie muss aufpassen, das nasse Moos darauf ist rutschig. Aber es lohnt sich. Eryu schaut brav nach oben, als das Quietschen ertönt. Dann noch ein Funk: «Der Hund wedelt zu stark mit dem Schwanz. Kann er sich weniger sichtbar freuen?» Ziegler und Schnellmann schütteln den Kopf. Das Wedeln kann man einem Hund, der sich freut, nicht abtrainieren. Irgendwie glückt die Aufnahme dann trotzdem.
Eryu, dessen Urururgrossvater ein Wolf war, ist eine imposante Erscheinung. Die Maskenbildnerin flüstert: «Ich habe so etwas noch nie gesehen», und hält Sicherheitsabstand. Schnellmann sagt: «Für mich ist es merkwürdig, dass andere ihn als Wolf wahrnehmen. Eryu ist für mich einfach ein Hund.» Und so benimmt er sich auch. Zwischen den Aufnahmen vergräbt er den grossen Kopf zwischen den Beinen seiner Besitzerin, will kuscheln und spielen und wirft sie dabei fast um.
Für einen anderen Kinospielfilm, «Der Spatz im Kamin», trainierte Ziegler einen Hund, eine Katze und ein paar ihrer eigenen Hühner. Im Drama von Ramon Zürcher kommt eine Familie auf dem Land zusammen, bis angestaute Emotionen Altes zerstören und Platz für Neues machen.
Das Tierwohl ist ausschlaggebend
In einer Szene sollte es aussehen, als ob ein Huhn geköpft würde und kopflos davonflöge. Ziegler erzählt: «Das Huhn lernte, auf einen erhöhten Gegenstand zu fliegen, wo es dann mit Futter belohnt wurde.» Der Kopf wurde in der Postproduktion wegretouchiert. Die inhaltliche Funktion der Tiere und der Filmplot spielen für Ziegler bei Anfragen keine Rolle. Für sie zählt nur, ob die Aufnahme tierverträglich ist. Bei den Filmen «Puppen & Krieger» und «Der Spatz im Kamin» war das der Fall.
Nach eineinhalb Stunden Dreh ist Eryu müde. Er schaut nur noch kurz auf, wenn sein Spielzeug quietscht, schnüffelt lieber nach links oder rechts. «Cut!», ruft die Kameraassistentin zum Glück. «Wir haben es!» Vorsichtig klettert Schnellman vom Vordach, Eryu bellt ungeduldig. Dann bekommt er seine Belohnung. Schnellmann sagt: «An einem typischen Drehtag verbrauche ich gut 150 Gramm Pouletherzen.»
Der Spatz im Kamin
Regie: Ramon Zürcher
Premiere im internationalen Wettbewerb am Locarno
Film Festival: Sa, 10.8.
Ab Do, 19.9., im Kino
Puppen & Krieger
Regie: Lisa Blatter
Ab Sommer 2025 im Kino