Als 15-Jähriger mass er bereits 1,93 Meter. «Ich war das perfekte Opfer für Komplexe aller Art», sollte sich Clint Eastwood später erinnern, und er habe dafür gebetet, dass irgendwann doch noch etwas Extrovertiertes aus ihm würde. Dass ihm dies nicht gelang, sollte der Grundpfeiler einer beispiellosen Karriere werden.
Eastwood, 1930 in San Francisco geboren, musste sich früh anpassen. Zur Zeit der grossen Depression zog seine Familie quer durchs Land. Clint wuchs bei seiner Grossmutter auf und jobbte als Heizer, Tankwart und Holzfäller. Jahre, die seinen späteren Raubein-Charakter prägen sollten. Schlägereien waren an der Tagesordnung, Durchsetzungskraft, Eigensinn und Solidarität gefragt. «Das war der Schlüssel zu meinem Erfolg.»
Nachdem er 1950 zur Armee eingezogen worden war, wo er als Schwimmlehrer arbeitete, riet ihm ein Kollege, es beim Film zu versuchen – seines Aussehens wegen. Und siehe da: Sein Typ kam an. In drei Jahren schaffte er es vom Statisten im Horrorfilm «Tarantula» (1955) zur Hitzkopffigur in der Cowboyserie «Rawhide» (1959–1965).
Damit schien die Karriere vorgespurt, doch Eastwood war unzufrieden. Man hatte ihm untersagt, neben «Rawhide» andere Projekte zu verfolgen. «Glauben Sie mir, ich bin bereit, den ganzen Krempel hinzuschmeissen», sagte er. Und genau das tat er, als ihn der italienische Regisseur Sergio Leone anrief und als Mann ohne Namen verpflichtete: Eastwood wurde in der Spaghettiwestern-Trilogie «Für eine Handvoll Dollar» (1964), «Für ein paar Dollar mehr» (1965) und «Zwei glorreiche Halunken» (1966) zur Kultfigur.
«Er ist direkt, kräftig, resolut und ehrlich»
Der Grund: Dieser bärtige Rächer mit Zigarillo im Mundwinkel hatte wenig mit properen Westernhelden gemein. Gerechtigkeit und Frauen interessierten ihn höchstens, wenn Bargeld heraussprang. Ansonsten beschränkte sich sein Wirken darauf, andere schäbige Gestalten mit zynischem Vergnügen gegeneinander auszuspielen.
Mit dieser Rolle schuf Eastwood nicht nur eine Ikone der Popkultur, sein gesetzloser Reiter war auch ein Vorbote jener Rebellen, die nach 1968 im New-Hollywood-Kino gegen ihre Väter aufbegehren sollten. Wobei Rebellion nicht unbedingt Eastwoods Kernthema war.
Ihm lag mehr daran, mit limitierten darstellerischen Fähigkeiten ein Maximum an Wirkung zu erzeugen. Als faschistoider Asphaltcowboy in den «Dirty Harry»-Filmen etwa. Fünf Mal spielte er den Inspektor Callahan. Regisseur Don Siegel, der Eastwood in den 60ern und 70ern fast nonstop einsetzte, sagte: «Er hat dieses unbeschreibliche Etwas, das das Beste an den USA repräsentiert: Er ist direkt, kräftig, resolut und ehrlich.»
Doch der Star gab sich damit nicht zufrieden. Ab den 70ern begann Eastwood als Regisseur, die Helden und Mythen der USA zu erforschen. Sein zentrales Thema: Held oder Antiheld? Freund oder Feind? Entstanden ist ein filmisches Opus in zahllosen Variationen.
Der gemeinsame Nenner seiner Charaktere besteht dabei oft im Ausgestelltsein in der Öffentlichkeit und einem anschliessenden heroischen Über-sich-Hinauswachsen. Zwei Oscars erhielt er für seine dreckige Western-Entzauberung «Unforgiven» (1992) über einen in Rage geratenden Schweinehirten – zwei weitere für «Million Dollar Baby» (2004), ein als Sportfilm getarntes Sterbehilfe-Drama mit Hilary Swank.
Eastwood hat sich immer wieder neu erfunden
Was seine Filme verbindet, ist eine ungekünstelte Handschrift. Das mag insofern paradox erscheinen, als der Regisseur ausschliesslich fremde Drehbücher adaptierte. Trotzdem erzählen seine Werke stets von gebrochenen Figuren, sind in einem unaufgeregten Rhythmus gehalten und kommen fast immer ohne Special Effects aus.
Das Geheimnis dahinter: Für Eastwood stehen Zuverlässigkeit, Effizienz und Disziplin an oberster Stelle. Verbürgt ist, dass er sich am Set nie als Star gebärdete, sondern wie jedes andere Crew-Mitglied behandelt werden wollte. Was Eastwood vermied, waren Budgetüberschreitungen. Er, der Ganoven für ein paar Dollar mehr verfolgte, produzierte lieber für ein paar Dollar weniger. So vermochten selbst bescheidenere Werke ein Mehrfaches der Produktionskosten einzuspielen.
Wenn Eastwood Schwächen offenbarte, dann geschah das abseits des Filmsets. Zum Beispiel, als er am Parteitag der Republikaner 2012 zu einem Stuhl sprach, der Barack Obama verkörpern sollte. Damit machte sich der einstige Bürgermeister des kalifornischen Städtchens Carmel zur Lachnummer.
Dabei war Eastwood keineswegs ein Hardliner. Er unterstützte auch demokratische Präsidentschaftskandidaten, begriff sich selbst als «gesellschaftspolitisch links und wirtschaftspolitisch rechts, bevor das in Mode kam.» Ausserdem kritisierte er George W. Bush für den Irakkrieg und geisselte die Politik von Donald Trump, den er anfangs noch unterstützt hatte, als «widerwärtig».
Was Eastwood im Film geschaffen hat, ist ein Werk, das monumental und vielfältig zugleich ist. Kein anderer Schauspieler brachte es in Hollywood zu einer solchen Regiekarriere. Und kein anderer Star hat sich über die Jahre so oft neu erfunden wie diese Ikone des US-Kinos.
Juror #2
Regie: Clint Eastwood
USA 2024, 114 Minuten
Ab Do, 16.1., im Kino
Filmkritik: Lass uns leise zweifeln
Mit verbundenen Augen wie Justitia betritt die hochschwangere Ally (Zoey Deutch) das Kinderzimmer, das ihr Mann Justin (Nicholas Hoult) hergerichtet hat. Mehr Anspielung auf Gerechtigkeit kann man kaum in einen Filmanfang packen. Und um Gerechtigkeit versus Moral geht es im Spielfilm «Juror #2», denn Justin muss als Geschworener in einem Mordprozess amten: Der einstige Dealer James (Gabriel Basso) soll seine Freundin Kendall (Francesca Eastwood) umgebracht haben. Aber dann bemerkt Justin, dass er selbst es gewesen sein könnte, der Kendall versehentlich mit dem Auto zu Tode fuhr.
Mit «Juror #2» demonstriert Regisseur Clint Eastwood noch einmal, wie souverän er mit den Themen Schuld, Gesetz und gesellschaftliche Verantwortung umgeht. Während Justin auf unschuldig plädiert, ermittelt sein Geschworenenkollege, der Ex-Ermittler Harold (J. K. Simmons), auf eigene Faust und steckt mit seinen Zweifeln sogar die auf schuldig plädierende Staatsanwältin Faith (Toni Collette) an.
Faith heisst Vertrauen. Das wiederum ist eine Verneigung vor dem Klassiker «Twelve Angry Men» (1957). Mit dem Unterschied, dass «Juror #2» nicht wie das Vorbild im Sitzungszimmer ausharrt, sondern wie ein Suchender durch die Gegend streunt.
Zu bewundern gibt es dabei dreierlei. Erstens die immer stärker werdenden Gewissensbisse von Hauptdarsteller Nicholas Hoult als Justin. Zweitens die Tatsache, dass dieser Film das komplexe Verhältnis zwischen menschlicher Schuld und menschgemachter Justiz beleuchtet. Und drittens eine Reverenz in eigener Sache: Die Bar Rowdy’s Hideaway, die eine zentrale Rolle spielt, verweist auf die Westernserie «Rawhide». Dort begann Eastwoods Karriere. Sein Name war Rowdy.