Film - Drei Schwestern, allein zu Hause
Von Trauer, Abschied und Neuanfang handelt das preisgekrönte Spielfilmdebüt «Abrir puertas y ventanas» der schweizerisch-argentinischen Regisseurin Milagros Mumenthaler.
Inhalt
Kulturtipp 10/2012
Urs Hangartner
In einer beredten Szene des Films bleiben die drei Protagonistinnen stumm: Sie wählen das Album «Songs For The Gentle Man» der englischen Folksängerin Bridget St John aus dem Jahr 1971 aus der Plattensammlung der Grossmutter und legen die Vinylscheibe auf den Plattenspieler. Sie setzen sich aufs Sofa, und die herzergreifende Ballade «Back To Stay» ertönt. Ergriffen lauschen die drei Schwestern dem Song mit den Textzeilen «There is no need for you t...
In einer beredten Szene des Films bleiben die drei Protagonistinnen stumm: Sie wählen das Album «Songs For The Gentle Man» der englischen Folksängerin Bridget St John aus dem Jahr 1971 aus der Plattensammlung der Grossmutter und legen die Vinylscheibe auf den Plattenspieler. Sie setzen sich aufs Sofa, und die herzergreifende Ballade «Back To Stay» ertönt. Ergriffen lauschen die drei Schwestern dem Song mit den Textzeilen «There is no need for you to cry» (Du musst nicht weinen) – um still loszuheulen. Es sind drei trauernde Seelen, versammelt in diesem alten Haus, das der Grossmutter gehörte. Sie hatte die drei Schwestern aufgezogen. Jetzt ist sie tot.
Es ist ein schwüler Sommer in Buenos Aires. Wetterbedingungen, die auch die Bewegungen der Menschen etwas zu entschleunigen scheinen. Marina (María Canale), Sofia (Martina Juncadella) und Violeta (Ailín Salas) leben allein im villenähnlichen Gebäude. Die Fensterläden sind geschlossen, drinnen läuft der Ventilator, Aussenwelt dringt via die Telenovelas im Fernseher in das Leben der Schwestern.
Der Filmtitel «Abrir puertas y ventanas» ist eine Metapher für das Durchlüften: Türen, Fenster und sich selber öffnen, um frischen Wind in das Leben hereinzubringen. Ein Ausbruch muss es nicht gleich sein. Marina ist von den dreien die Verantwortungsbewusste, die den Haushalt zusammenhält. Sie lässt sich nur scheu mit dem jungen Nachbarn Francisco ein. Sofia, die etwas Unstete, vernachlässigt ihr Studium und zeigt sich mehr an Kleider-Shopping interessiert. Sie entschliesst sich eines schönen Tages für eine radikale Entsorgungsaktion und stellt viel Hausrat vor die Tür. Ausser Möbeln auch die Schallplatten.
Platz für Neuanfang
Im geräumten Wohnzimmer ist nun Platz für einen Neuanfang. Einen solchen wagt die Jüngste anderswo: Violeta hat ihre beiden Schwestern heimlich verlassen, um irgendwo in der Ferne ihr Glück als Songschreiberin und Sängerin zu versuchen. Per E-Mail schickt sie ihren Schwestern ein Lied («Hat sie das selber geschrieben?»).
Ohne die Story für ihren ersten Langspielfilm autobiografisch zu grundieren, lässt Regisseurin Milagros Mumenthaler Selbsterlebtes einfliessen. 1977 wurde sie in Buenos Aires geboren, als ihre Eltern mit dem wenige Monate alten Kind Milagros aus politischen Gründen in die Schweiz flüchteten. Hier, in Genf, wuchs sie auf. Mit 19 Jahren kehrte Mumenthaler für ihr Filmstudium nach Argentinien zurück, wo sie die ersten beiden Jahre bei ihrer Grossmutter lebte. So kann sie zu ihrem Film heute sagen: «Viele Szenen sind von dieser Zeit inspiriert.»
«Abrir puertas y ventanas» wurde letztes Jahr in Locarno als bester Film mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet. Zusätzlich erhielt María Canale für die Verkörperung der Marina einen Silbernen Leoparden (Beste Hauptdarstellerin).