«Wen der Herrgott liebt, den züchtig er» – ein gängiger Spruch für Erziehungsmethoden in Hei-men: In Gottes Namen die Heimkinder auf den rechten Weg bringen, so das Ziel. Das christlich Motivierte konnte sich in Wahrheit aber schlicht als sadistisch oder pädokrimi-nell entpuppen. Der Deckmantel hiess Barmherzigkeit.
Der Film von Edwin Beeler («Arme Seelen») zeigt fünf Fälle von Betroffenen, von Menschen, die zwischen 1947 und 1957 geboren wurden. Sie alle vereint ihr Schicksal als Heimkind. Sie berichten von damals und offenbaren, was mit fremdplatzierten Kindern im Namen des Christlich-Guten angestellt wurde.
Sie waren Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, «sitt-lich verwahrlost», Kinder, die für die angeblichen Verfehlungen ihrer Eltern büssen mussten. Sie wurden unehelich geboren, waren «schwierig», oder den Eltern war eine gebührliche Erziehung nicht zuzumuten. Die Kinder wurden zu unschuldigen Schuldigen gemacht.
«Jugend ist ein Menschenrecht»
MarieLies Bichler, mehr als zehn Jahre im Waisenhaus Einsiedeln, sagt im Film: «Ich hatte das Gefühl, ich lebe immer nur in Todsünde. Ich war einfach wild und wollte leben. Aber ich konnte nicht leben.» Sie sei vom Teufel besessen, lautete das Verdikt der Heimschwestern.
Der Vater von Annemarie Iten hatte sich umgebracht und so-mit eine Todsünde begangen. Im Heim dachte sie: «Ich habe keine Eltern mehr, ich habe niemanden mehr. Ich bin ausgeliefert.»
Sergio Devecchi startete seine Heimkarriere im Alter von zehn Tagen. Er war in mehreren Institutionen im Tessin und in Graubünden, als «illegaler Sohn» ein «Kind der Schande». 17 Jahre blieb er in Heimen, später wurde er selber Heimerzieher.
Pedro Raas, der sich in seiner Not in Einsiedeln in der nahen Pferdezucht den Tieren anvertraute, sagt: «Für die Nonnen war meine Mutter eine Hexe.»
Willy Dischler, Zögling im Baselbiet und im Luzernischen, erinnert sich an die folterartigen Wasserbehandlungen durch die Schwester Oberin – «Jedes Mal dachte ich: Jetzt ist es vorbei, aus, jetzt sterbe ich.» Er wünschte sich im Rückblick «eine andere Jugend». Denn: «Jugend ist ein Menschenrecht.»
Zu all dem Leid, zu den Geschichten von einem Leben in permanenter Angst kommt die hoffnungsvolle Perspektive, die der Film auch bietet: Er porträtiert Menschen, die sich letztlich nicht haben brechen lassen. Sie haben überlebt.
Regisseur Edwin Beeler verschränkt auf einer zweiten Filmebene die Schicksale der Heutigen mit Hexenfällen aus dem 17. Jahrhundert und zeigt Parallelen auf. Wiederholt montiert er symbolträchtige, atmosphärische Landschaftsbilder: sturmgepeitschte Wellen auf dem Vierwaldstättersee oder ein trudelndes Flugzeug am Himmel.
Hexenkinder
Regie: Edwin Beeler
Ab Do, 17.9., im Kino