Film: Die Last der Familie
Mit seinem Dokfilmdebüt «Le film de mon père» porträtiert der Westschweizer Jules Guarneri die eigene Familie und erzählt seine persönlich Befreiungsgeschichte.
Inhalt
Kulturtipp 12/2023
Letzte Aktualisierung:
06.06.2023
Urs Hangartner
Zu diesem Film wurde Regisseur Jules Guarneri (*1991) sozusagen von seinem Vater Jean gedrängt. Diesen sieht man mehrfach am Tisch sitzend beim Essen und frontal in die Kamera sprechend. Der Vater hat sich täglich selber gefilmt, mit dem Ziel, dass sich sein Sohn davon inspirieren lässt für seinen Film. Die Familie lebt im Waadtländer Wintersportort Villarssur-Ollon. Filmemacher Jules ist das einzige leibliche Kind der Guarneri. Er hat mit Oskar und Iwa zwei adoptiert...
Zu diesem Film wurde Regisseur Jules Guarneri (*1991) sozusagen von seinem Vater Jean gedrängt. Diesen sieht man mehrfach am Tisch sitzend beim Essen und frontal in die Kamera sprechend. Der Vater hat sich täglich selber gefilmt, mit dem Ziel, dass sich sein Sohn davon inspirieren lässt für seinen Film. Die Familie lebt im Waadtländer Wintersportort Villarssur-Ollon. Filmemacher Jules ist das einzige leibliche Kind der Guarneri. Er hat mit Oskar und Iwa zwei adoptierte Geschwister, die aus Kolumbien stammen und von der vermögenden Schweizer Familie aufgenommen wurden.
Als «Phantom» geistert Mutter Christabel durch den Film und das Haus. Sie starb, als Jules 20 war. Vater Jean hat überall im Chalet Nacktbilder seiner verstorbenen Gattin platziert. Jean ist Privatier, ein Müssiggänger, der nie arbeiten musste. Das Geld seiner Frau aus belgischer Aristokratie hat es möglich gemacht.
Entblössend und nicht ohne Witz
Jean will noch drei Sachen regeln. Er möchte sich mit Tochter Iwa versöhnen, die sich von ihm entfremdet hat. Und möge der 124 Kilo schwere Oskar, der täglich zwei Stunden in der Badewanne liegt, eine Partnerin finden. Er wird es. Jules schliesslich, der selber noch nie etwas Richtiges zustande gebracht hat, soll nun diesen Film machen. Und dann ist da noch Pura, die Haushälterin, die für die Familie da ist und den drei Geschwistern als Mutterersatz galt. Alles in allem eine schrecklich nette Familie?
Auf alle Fälle eine ganz spezielle, der man mit dem intimen, auch entblössenden und nicht ohne Witz gemachten Film nahekommt. Der Filmemacher wird sich von seiner familiären Last befreien und zur Emanzipation schreiten: In das Chalet, das Vater Jean für ihn in unmittelbarer Nachbarschaft bauen lässt, zieht der Sohn nicht ein. Jules Guarneri gewann mit seinem Langfilmdebüt letztes Jahr den Spezialpreis der Jury beim Dokumentarfilmfestival Visions du Réel in Nyon.
Le film de mon père
Regie: Jules Guarneri CH 2022, 73 Minuten
Ab Do, 8.6., im Kino