Blitzschnell ist es am 16. März gegangen. Nachdem der Bundesrat die Lage als «ausserordentlich» einstufte, haben sämtliche Kinos der Schweiz ihre Türen binnen weniger Stunden geschlossen. Seit damals ist die Film- und Kino-Branche nicht nur in der Schweiz dabei, sich «neu zu erfinden». Dabei werden nicht grundsätzlich andere Wege eingeschlagen, einige bereits angebahnte Entwicklungen erfahren aber einen rasanten Schub.
Win-Win-Situation dank «Sofakino»-Plattformen
Nicht nur internationale Streaming-Plattformen wie Disney, Netflix oder Amazon verzeichnen jüngst einen sensationellen Kundenzuwachs, sondern auch Schweizer Produkte. Einige von ihnen wie Myfilm, Cinefile oder Filmingo haben in den letzten Wochen verstärkt mit Kinos zusammengearbeitet, sofern dies nicht schon im Verbund mit ihnen geschehen ist. «Sofakino» nennt sich das Modell. Ein Teil des Erlöses geht ans Kino, der andere an den Anbieter. Gezeigt werden vor allem Filme, die vor kurzem im Kino liefen oder in den Quarantäne-Wochen gelaufen wären.
Es sei eine in Corona-Zeit geborene Win-Win-Situation, meint Cinefile-Betreiber Andreas Furler. Seine Plattform hat in den letzten Wochen 500 Prozent Zuwachs erlebt. Doch nun sollen die Kinos in der Schweiz voraussichtlich in der ersten Junihälfte ihren Betrieb wieder aufnehmen. Der Bundesrat entscheidet am 27. Mai. Es ist eine Steilvorgabe. Sie fordert «von einer Branche, die normalerweise stark durchgeplant funktioniert, ungewohnt spontane Flexibilität», wie Liliane Hollinger vom Winterthurer Kino Cameo es formuliert.
Tatsächlich sind die Herausforderungen, die auf die Kinos zukommen, riesig. Dabei sind die Umsetzung der geforderten Schutzmassnahmen wie der Mindestabstand im Kinosaal und verschärfte Hygienevorschriften bloss das eine. Das andere sind die fehlenden Filme: Man will dem Publikum nicht wieder anbieten, was im März auf dem Programm stand, kommt wohl aber nicht umhin, genau das zum Teil zu tun.
Kino gehört zur kulturellen Grundversorgung
Die Starttermine der über 60 Filme, die in den letzten zehn Wochen hätten anlaufen sollen, wurden nicht selten über ein halbes Jahr verschoben. Das betrifft vor allem die grossen Filme, wie der auf April angekündigte neue James Bond. Als Mainstream-Starts für den Sommer gross angekündigt sind derzeit bloss «Tenet» von Christopher Nolan und die Spielfilm-Version von «Mulan». Dennoch werden die Multiplex- und Mainstream-Kinos, sobald sie können, wieder aufgehen. Dies gemäss dem Motto, dass man es nimmt, wie es kommt, wie der Geschäftsführer der Arena-Cinemas Patrick Tavoli sagt.
Einzig im Tessin, das traditionell eine Sommerpause kennt, wird man erst Ende August, Anfang September wieder eröffnen. Was die Schweizer Kino-Branche eint, ist die Selbstverständlichkeit, mit der man ans Kino glaubt und sich den Kunden verbunden fühlt. «Wenn wir Kino machen dürfen», bringt es Tobias Faust, der Geschäftsführer von Kult.Kino Basel, auf den Punkt, «dann machen wir Kino. Denn Kino gehört zur kulturellen Grundversorgung.» So oder ähnlich sehen es viele. Auch wenn einige genau kalkulieren müssen, ob sich die Bespielung eines kleinen Saales lohnt, der durch die geforderten Schutzmassnahmen noch weniger Zuschauern Platz bietet.
Arthouse-Filme sind bereit für den Sommer
Derweil den Mainstream-Kinos neue Filme fehlen, bieten sich den Arthouse- und Programmkinos neue Chancen. Denn die Independent- und Schweizer Filme, deren Starttermin der Kinoschliessung zum Opfer fiel, sind zurzeit flink daran, sich für den Start im Sommer fit zu machen. Mit Titeln wie William Nicholsons romantischem Drama «Hope Gap», Manele Labidis Komödie «Un Divan à Tunis» und Sally Potters «Roads Not Taken» steht dabei durchaus Sehenswertes an. Wenn man dann noch bedenkt, dass Grossevents wie Musik-Open-Airs bis Ende August verboten sind, Olympiade und EM verschoben wurden, Reisen in ferne Länder eher unmöglich sind und das Filmfestival Locarno in der herkömmlichen Form nicht stattfindet, könnte der Schweizer Kino-Sommer so schlecht nicht werden. Beim Kino Cameo etwa überlegt man, auf die übliche Sommerpause für einmal zu verzichten.
Zurich Film Festival soll im September stattfinden
Doch es sind nicht die Betreiber allein, die entscheiden, wie erfolgreich die Kinos wieder aufgehen. Die grösste Unbekannte ist das Publikum. Die Cinephilen, ist die Branche sich einig, werden weiterhin ins Kino gehen. Doch wie nachhaltig sich die Pandemie-Vorsicht dem Volk eingeprägt hat, weiss man nicht. Auch nicht, wie viele die Filme künftig lieber zu Hause auf dem Sofa schauen. Man werde alles tun, dem Publikum den nötigen Schutz und das Gefühl der Sicherheit zu bieten, heisst es bei den Arthouse-Kinos in Zürich.
Während verschiedene Szenarien durchgegangen werden und sich auch die Open-Air-Kino-Betreiber noch sorgen, glaubt Christian Jungen als Direktor des Zurich Film Festivals (ZFF) an die Durchführung Ende September. Besonders für den Schweizer Film sei das ZFF zur «Endstation Sehnsucht» geworden: Nachdem die Festivals von Fribourg und Nyon online stattfanden und Locarno abgesagt wurde, ist das ZFF die letzte Möglichkeit, 2020 an einem grossen Schweizer Festival Premiere zu feiern. Das ZFF lebe davon, dass es im Kino stattfinde, sagt Jungen und will über virtuelle Alternativen lieber nicht nachdenken.
Tatsächlich gibt es wohl nichts Schöneres, als wie Franz Kafka in sein Tagebuch schreiben zu können: «Ins Kino gegangen. Geweint.» Bis dahin schauen wir in der Schweiz Filme in Streams an.
Alternativen zum herkömmlichen Kino
We Are One: A Global Film Festival
Die internationalen Filmfestivals haben sich aufgrund der Corona-Krise zu einem gemeinsamen virtuellen Festival zusammengeschlossen. Die Filmfestspiele von Locarno, Cannes, Venedig, Berlin oder New York bieten Lang- und Kurzfilme, Dokumenta-tionen, Comedy und Diskussionen an, die allesamt gratis auf Youtube zu sehen sind. Mit Spendenaufrufen sammeln sie Geld für lokale Hilfsorganisationen und die Weltgesundheitsorganisation WHO.
Fr, 29.5.–So, 7.6.
www.youtube.com/WeAreOne
Autokinos
Die Corona-Krise könnte zu einem Revival für die Autokinos werden. Was in Deutschland bereits zum grossen Renner wurde, bleibt den Schweizer Veranstaltern teilweise noch verwehrt. Für Freilicht-Autokinos gelten oft dieselben Einschränkungen wie für die Kinos oder andere Open-Air-Veranstaltungen. Obwohl dank eigenem Fahrzeug die Distanz-Bedingungen weitgehend gewahrt sind.
Autokino Muri: www.autokinomuri.ch
Autokino Thun: www.autokinos.ch
TCS-Drive-In-Movies Hinwil: www.driveinmovies.ch
Cinema Drive In Pratteln: www.cinema-drive-in.ch/home.php