FILM Der Verführer und sein Versuchskaninchen
Grossartiges Schauspielkino: Joaquín Phoenix und Philip Seymour Hoffman brillieren in Paul Thomas Andersons «The Master». Er orientiert sich lose am Treiben von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard.
Inhalt
Kulturtipp 04/2013
Urs Hangartner
Freddie Quill (Joaquín Phoenix) ist ein sexsüchtiger Alkoholiker, der sich seinen Schnaps selber zusammenbraut. Als Choleriker neigt er zu heftigen Gewaltausbrüchen – alles andere als ein einfacher Mensch also. Der Krieg, der für den US-Soldaten soeben zu Ende gegangen ist, hat ihn dazu gemacht.
Freddie steht für all die Menschen, die aus einer Katastrophe wie dem Zweiten Weltkrieg psychisch oder physisch versehrt herausgehen. Sie suchen Trost und Halt: I...
Freddie Quill (Joaquín Phoenix) ist ein sexsüchtiger Alkoholiker, der sich seinen Schnaps selber zusammenbraut. Als Choleriker neigt er zu heftigen Gewaltausbrüchen – alles andere als ein einfacher Mensch also. Der Krieg, der für den US-Soldaten soeben zu Ende gegangen ist, hat ihn dazu gemacht.
Freddie steht für all die Menschen, die aus einer Katastrophe wie dem Zweiten Weltkrieg psychisch oder physisch versehrt herausgehen. Sie suchen Trost und Halt: In Heilslehren, wie sie zum Beispiel die dubiose Organisation von Lancaster Dodd (Philip Seymour Hoffman) anbietet. Er ist ein Führer und Verführer, selber nicht ganz bei Trost.
Per Zufall trifft Freddie auf diesen charismatischen Dodd, «Doktor, Nuklearphysiker, Philosoph und vor allem ein Mann». Dodd, der sich «Master» nennen lässt, macht Freddie zu seinem Protegé und Versuchskaninchen. An ihm führt er seine abstruse Therapie-Methode vor, eine Art Hypnose, eine Zeitreise in die Traumata der Vergangenheit. Sie kann angeblich Leukämie und Geisteskrankheiten heilen und den Weltfrieden bringen.
Doch Freddie bleibt, von Dodd verstossen, ein lädierter Mensch. Er muss fortan seinen Weg ohne die Hilfe des Meisters finden. So endet die Geschichte vom diabolischen Verführer und dem tragischen Verführten.
«The Master» ist eine fiktive Geschichte, die in einem historisch verbürgten Kontext spielt. Unschwer ist in der Titelfigur Scientology-Gründer L. Ron Hubbard erkennbar. Allerdings: Dianetik, die Methode, und Scientology, die quasi-religiöse Organisation, sind nicht Gegenstand des Films. Regisseur und Drehbuchautor Paul Thomas Anderson («Magnolia») geht es vielmehr um den Konflikt zweier Charaktere, um Herrschaft, Abhängigkeit und Glauben. Die Handlung ist in eine authentisch gezeichnete Szenerie der späten 1940er- und frühen 1950er-Jahre eingebettet. Phoenix und Hoffman spielen bravourös.