Film - Der kleine Dieb
Nach dem «horizontalen» Film «Home» nun der «vertikale»: In «Sister» erzählt die Schweizer Regisseurin Ursula Meier von einem 12-Jährigen zwischen oben und unten.
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Kulturtipp 09/2012
Urs Hangartner
Er ist gerade mal 12 Jahre alt und bereits ein ausgebuffter Kleinkrimineller. Ein sympathischer dazu. Denn man bringt mitfühlendes Verständnis auf für die Diebestouren von Simon (Kacey Mottet Klein). Er tut es nicht zur persönlichen Bereicherung. Vielmehr entspricht das Stehlen einer Notwendigkeit: Simon muss es tun, um den chronischen Finanznöten seiner älteren Schwester Louise (Léa Seydoux) zu begegnen. Sie sei seine «Sister» (daher der ...
Er ist gerade mal 12 Jahre alt und bereits ein ausgebuffter Kleinkrimineller. Ein sympathischer dazu. Denn man bringt mitfühlendes Verständnis auf für die Diebestouren von Simon (Kacey Mottet Klein). Er tut es nicht zur persönlichen Bereicherung. Vielmehr entspricht das Stehlen einer Notwendigkeit: Simon muss es tun, um den chronischen Finanznöten seiner älteren Schwester Louise (Léa Seydoux) zu begegnen. Sie sei seine «Sister» (daher der Filmtitel), erklärt Simon einmal in seinem Frühenglisch.
Simon klaut oben auf dem Berg, im Skigebiet irgendwo im Wallis, wo sich die Touristen tummeln. Jacken, Skibrillen, Handschuhe, Helme, Skier. Eine der Jacken schenkt er Louise mit den Worten: «Denen da oben ist es egal, die kaufen sich einfach eine neue.»
Unten im Tal wirkt er unter Gleichaltrigen als Kleindealer am Schlittelhang. Den Kindern gibt er das Gewünschte günstig ab. Ausländische Saisonarbeiter, die bald weiterziehen werden, profitieren ebenfalls von den «Sonderangeboten» («aus einer Lagerräumung»). Weil die Arbeiter als Abnehmer wegfallen, muss Simon es im Tal unten an der Strasse versuchen. Zudem wurde er oben erwischt, sodass er sich da nicht mehr blicken lassen kann. Als der Schnee schmilzt und die Skisaison zu Ende geht, ist auch für Simon (vorläufig) Schluss.
Louise ist gar nicht Simons Schwester. Sie: «Du bist ein Klotz am Hals. Seit 12 Jahren. Ich kann mit dir nichts anfangen.» Darauf Simon: «Der Klotz am Hals bist du!» Bittere Worte. Und doch wird eine Versöhnung der beiden möglich sein.
Mit «Sister» wollte Regisseurin Ursula Meier nach dem «horizontalen» Autobahnfilm «Home» (2008, mit Kacey Mottet Klein an der Seite von Isabelle Huppert) einen «vertikalen» Film über «oben» und «unten» realisieren. Wie in «Home» erzählt auch «Sister» von Menschen abseits der normierten Welt. Er tut es auf überaus anrührende Art. An der diesjährigen Berlinale wurde der Film mit einem Sonderpreis (Silberner Bär) ausgezeichnet.